Wo beginnt der Weg zum echten Mannsein?

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Wo beginnt der Weg zum echten Mannsein?

Verärgert kommt der Junge vom Kindergottesdienst nach Hause und erklärt dem erstaunten Vater, dass er wegen eines Liedes so sauer ist: „Da heißt es doch glatt: ‚Ich möchte ein Sonnenstrahl für Jesus sein’.“ Auf die Rückfrage, was an diesem Text denn so entsetzlich sei, meint der Sohn: „Ich will aber kein Sonnenstrahl werden. Ich will doch Fernfahrer werden!“

Tun und Sein

Die meisten von uns Männern können sich wohl in diesen Jungen hineinversetzen: Sein Problem, diesen starken Gegensatz von „Sonnenstrahl“ und „Fernfahrer“, können wir gut verstehen. Aber das ist noch gar nicht das Entscheidende. Der eigentliche Knackpunkt ist das ungeklärte Verhältnis zwischen dem, was wir tun, und dem, wer wir sind; es geht also um den Gegensatz von Tun und Sein.

In unserem westlichen Kulturkreis wird Männlichkeit und männliches Selbstbewusstsein vorrangig aus dem abgeleitet, was wir tun. Schon deshalb kommt sich ein Mann ziemlich eingeschränkt vor, wenn seine Männlichkeit darin bestehen soll, (nur) etwas zu sein. – Aber glücklicherweise verwirklicht sich echtes Mannsein sowohl durch das Handeln als auch durch das Sein.

Die Männer-Falle

Jesus behauptet, dass er die einzige und endgültige Antwort ist auf die Frage nach dem Sein, nach dem Selbstverständnis, nach der Identität. Daraus ergeben sich dann aber auch die folgenden Überlegungen (auf die ich später noch ausführlicher eingehen werde): Nur ein Christ kann im eigentlichen, umfassenden Sinn Mann sein. Wenn ein Mann diese echte Männlichkeit „in Christus“ aber nicht entdecken will, dann steht ihm nur ein einziger Ausweg offen: der Versuch, sich zumindest den Anschein starker Männlichkeit zuzulegen. Auf der Suche nach seiner eigentlichen Männlichkeit ist er dann dazu verurteilt, sich sein Leben lang wie ein Mann zu verhalten, ohne es tatsächlich zu sein.

Wir wollen diese anstrengende Falle nun etwas genauer betrachten, um uns besser zu verstehen und um den Zugang zu echter Männlichkeit entdecken zu können. Am besten setzen wir bei der simplen Beobachtung an, dass alle Männer ihre „Männerkarriere“ einmal als kleine Jungen angefangen haben. Gott hat uns Menschen so konzipiert, dass wir auf dem Weg zur Persönlichkeitsreifung verschiedene Entwicklungsphasen durchlaufen. Wenn wir eine dieser Stufen erfolgreich bewältigt haben, dient sie als solide Grundlage für die folgende. Um herauszufinden, wie sich eine gesunde männliche Identität entwickelt, müssen wir uns vor allem mit zwei dieser Entwicklungsstufen befassen:

Etwas leisten …

Die Zeit zwischen dem siebten und dem zwölften Lebensjahr ist von besonders großer Aktivität gekennzeichnet. Die Aufgabe, die ein Junge in dieser Zeit zu bewältigen hat, besteht nämlich in der Entdeckung, dass er „etwas leisten“ kann. Er muss herausfinden, was er – v. a. außerhalb der Familie – kann und was er nicht kann. Er findet also durch aktives Erforschen und Experimentieren in diesem nun vergrößerten Lebensraum heraus, wie diese Welt funktioniert. (Der bekannte dänische Entwicklungspsychologe Erik H. Erikson bezeichnet dies als den „Gegensatz zwischen Leistung und Minderwertigkeitsgefühl“, den er für das bestimmende Grundmuster dieses Altersabschnitts hält.) 

Damit ihm dieser Erfahrungsprozess gelingt, braucht der Junge sowohl die Erlaubnis als auch die Gelegenheit zum Ausprobieren. Dabei wird er allerdings oft ein Durcheinander anrichten, sich eine blutige Nase holen und den Erwachsenen im Großen und Ganzen auf die Nerven gehen. Innerhalb bestimmter Grenzen ist dies aber ein durchaus gesundes Verhalten.

Leider haben viele von uns nie die Erlaubnis oder die Gelegenheit zum Ausprobieren gehabt. Die Folge davon ist ein Minderwertigkeitsgefühl: das Empfinden, der Welt nicht gewachsen zu sein. Dann verlassen wir diese Phase mit unbeantworteten Fragen: „Bin ich überhaupt fähig zu erfolgreichem Handeln?“ „Kann ich wirklich etwas leisten?“ „Kann ich die Herausforderungen des Lebens aktiv meistern?“

… und jemand sein

Die nächste Station auf diesem abenteuerlichen Weg der Persönlichkeitsentfaltung ist die Pubertät. Im Gegensatz zur weit verbreiteten Ansicht geht es dem Jungen in dieser Entwicklungsphase gar nicht vorrangig um Mädchen oder um die Frage, wie er mit seinem Pickelgesicht fertig wird. Der Teenager ist vielmehr auf der Suche nach sich selbst. (Erikson bezeichnet dies als den „Gegensatz zwischen Identität und Zwiespalt“ bzw. „Rollenkonfusion“.)

Die Fähigkeit, abstrakt zu denken, entwickelt sich mit dem Eintritt in die Pubertät deutlich weiter. Der Teenager benutzt diese neue intellektuelle Fähigkeit nun zur Klärung seiner bisherigen Lebenserfahrungen.

Die Aufgabe dieser Entwicklungsphase heißt in erster Linie: in allen Lebensbereichen, in denen es auf das Sein ankommt, Erfolg zu haben. Im Mittelpunkt stehen also die Bemühungen des Jugendlichen um intellektuellen Erfolg, um Erfolg im sozialen Beziehungsgeflecht, um Klärung seiner Gefühle, seiner ethischen Werte und seiner geistlichen Identität. Darüber hinaus versucht der Teenager, alle diese Aspekte zu einer umfassenden Identität zusammenzufassen. Seine Aufgabe besteht also schlicht und einfach darin, zu „sein“.

Der Stolperstein bei der Ich-Findung

Eines der größten Hindernisse auf diesem Weg zu einer abgerundeten Identität ist das unbewältigte Minderwertigkeitsgefühl aus der vorhergehenden Phase, mit dem manche Jugendliche dann in die nächste Phase, die Pubertät, hineinstolpern. Wenn wir nämlich die vorpubertäre Aufgabe, das Tun zu erlernen, nicht erfolgreich gelöst haben, dann schleppen wir sie weiter mit uns herum. Dadurch wird die große Aufgabe der Pubertät, unser Sein zu finden, dann natürlich umso schwieriger.

Dies sieht so aus: Wir versuchen, unsere Identität primär durch Leistung und Aktivität, also durch unser Tun, aufzubauen. Wir spielen bestimmte Rollen, um uns dadurch diese Identität zu verschaffen. Eine solche künstliche Identität tragen wir als Fassade vor uns her; sie ist nichts Echtes, was in uns selbst gewachsen ist. Unter solchen Bedingungen endet die Suche nach Identität schließlich in Unsicherheit und Zwiespalt, in der „Rollenkonfusion“.

Es trifft die meisten von uns!

Das Tragische an diesem Rollenzwiespalt ist, dass die meisten von uns genau diesen Weg einschlagen. Hinzu kommt, dass die westliche Kultur bei den meisten Männern die Tendenz, ihr Mannsein nur vorzuspielen, noch verstärkt. Diese Männlichkeit besteht dann nur aus einer Fassade, die durch „typisch männliches“ Verhalten und Gehabe aufgebaut und aufrechterhalten wird – also durch ein Tun anstelle von echtem Mann-Sein. 

Das offensichtlichste Beispiel, wie man Männlichkeit durch eine solche Rolle vortäuschen kann, ist der „Macho“: Was er tut, ist cool. Was er sagt, ist knallhart. Er raucht die heißeste Zigarette. Er benutzt das schärfste Rasierwasser. Er fährt das stärkste Auto. Er zeigt Härte. – Aber in Wirklichkeit ist er zerbrechlich, seine Härte ist ja nur die Fassade, die um einen unsicheren, zwiespältigen Personenkern aufgebaut wurde.

Echtes Mannsein beruht aber darauf, dass Denken, Fühlen und geistliches Leben („Spiritualität“) eine echte Einheit bilden, die von innen kommt. (Mit den Worten der Bibel könnte man deshalb auch sagen: Echtes Mannsein ist vor allem ein Zustand des Herzens.) Daraus folgt: Das Leben als Christ ist der einzige Nährboden, auf dem echtes Mannsein sich gesund entwickeln kann.

Das Grundproblem aller Männer

Diese These entspricht deshalb der Wirklichkeit, weil die Sünde die Quelle aller Desintegration im Kosmos ist: Sie trennt uns von Gott, von anderen Menschen und von uns selbst. Die Sünde macht Einheit in der Persönlichkeit unmöglich und beseitigt die Hoffnung, dass jemals wahres Mannsein entstehen kann. Aber Christus kam, um uns Leben zu bringen. Durch sein Opfer hat er unser Problem gelöst und wahres Mannsein erreichbar gemacht für alle, die sich an ihn wenden.

Deshalb gilt der Satz: Das wahre Mannsein kann letztlich nur in Christus beginnen. In ihm können wir nämlich – ganz unabhängig von unserer Vergangenheit – dieses Grundproblem, wer wir sind, lösen. Und von diesem Ausgangspunkt einer geklärten Identität her (von unserem Sein) können wir dann auch zu effektivem Handeln (zu unserem Tun) fortschreiten.

Wahres Mannsein beginnt tatsächlich „im Herzen“  – und es beginnt mit Christus. Daraus entsteht Stärke, die uns das Dienen ermöglicht, und nicht Härte, die zum Herrschen führt.

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