Sich gegen Gewalt wehren

Gewalt
© Charl Folscher / unsplash.com

Sich gegen Gewalt wehren

„Sein Mut war tödlich, seine Zivilcourage hat ihm das Leben gekostet. Das ist das besonders Furchtbare an dem Verbrechen an der S-Bahn Haltestelle in München-Solln: Die Täter haben dort den bürgerlichen Mut erschlagen.“ (Süddeutsche Zeitung vom 14.09.2009)

Wenn wir uns mit dem Thema „Gewalt gegen Männer“ befassen, beschäftigen uns sicher Gedanken wie im obigen Zeitungsartikel beschrieben. Aber haben Sie sich schon mal darüber Gedanken gemacht, dass auch in christlichen Kreisen Männern Gewalt angetan wird (z. B. geistlicher Missbrauch): Männer, die mundtot gemacht werden, weil sie männlich handeln, was den fraulich geprägten Kreisen oft ein Dorn im Auge ist. Oder bekehrungswütige Frauen, die ihren Männern das Leben gewaltig zur Hölle machen können.

Doch wollen wir uns mit diesen „besonderen Spielarten der christlichen Gewalt“ nicht weiter befassen, sondern schauen uns „echte“ Gewalt gegen Männer an. Wir müssen uns zunächst fragen:

1. Was ist Gewalt, und woher kommt sie?

Statistiken über die Entwicklung von Gewalt lassen uns im Unklaren. Einige schreiben davon, dass Gewalt zurückgeht, während andere von zunehmender Gewalt berichten. Das Problem dabei ist sicher auch, dass man Gewalt subjektiv erlebt.

Gewalt beginnt schon beim Beleidigen und Ausgrenzen von Menschen und geht dann weiter bis zur körperlichen Gewalt. Eigentlich beginnt sie schon dann, wenn man schlecht über andere Menschen denkt. Natürlich gibt es die unterschiedlichsten Erklärungen und Vorstellungen für die Entstehung und den Beginn von Gewalt. Die einen wählen schon die Nummer eines Seelsorgers, wenn ihre Kinder einen Film wie „Michel von Lönneberga“ ansehen, während andere ihre Sprösslinge bedenkenlos jeden noch so brutalen Film anschauen lassen.

Doch eines ist gewiss: Eine der Ursachen für Gewalt ist der Verfall bzw. der Verlust von Werten und Visionen: Wenn Menschen nicht mehr wissen, wofür sie eigentlich leben (fehlende Vision), wenn es hauptsächlich darum geht, dass sich alles um sie selbst dreht (Egoismus) und gleichzeitig dabei Werte wie Ehrlichkeit, Verlässlichkeit, Treue … verloren gehen, so wird das unweigerlich auch Gewalt begünstigen, und außerdem wird dieses Erbe an die nächste Generation weitergegeben.

Im Gespräch mit Lehrern und Rektoren höre ich immer wieder Sätze wie: „Wir haben es heute mit anderen Kindern zu tun als noch vor fünf Jahren. Ich weiß nicht mehr, wie ich diese Klasse unterrichten soll.“ Ich denke, wir ernten hier die Früchte von unzähligen Scheidungen, sich immer neu formierenden Patchworkfamilien und anderen Zuständen, deren Hauptleidtragenden immer die Kinder sind. Sie bekommen eine schlechte „Programmierung“ mit, sind in ihrer Persönlichkeit, ihrem Selbstwert verunsichert. – Eine Form, mit diesem Mangel umzugehen, ist es, gewalttätig zu werden.

Damit kommen wir zur nächsten Frage:

2. Warum kommt es überhaupt zu Gewalt?

Abgesehen von den klassischen Motiven für Gewalt wie Hass, Eifersucht oder etwas besitzen zu wollen, das einem anderen gehört, gibt es zwei wichtige Ursachen für das Entstehen von Gewalt: mangelnder Selbstwert und nicht bearbeitete Konflikte.

Bei beiden Formen gibt es zwei Wege, wie Menschen falsch damit umgehen können:

Die einen entdecken in Gewalt einen Weg, Konflikte zu „lösen“ oder ihren Selbstwert aufzumöbeln. Die anderen tun sich selbst Gewalt an, indem sie diese Dinge in sich hineinfressen. Entweder explodieren sie dann eines Tages (im schlimmsten Fall als Amokläufer), oder sie werden depressiv.

Zunächst zu den unbearbeiteten Konflikten: Diese könnte man mit einem Eiterherd vergleichen. Ungeöffnet und ungereinigt schwärt er weiter, bis er buchstäblich platzt. So können diese unbearbeiteten Konflikte ebenfalls zu Gewalt führen. Deswegen ist es notwendig, wieder streiten zu lernen und dies nicht als etwas Schlechtes abzutun. Ein Konflikt ist immer die Chance zu einer Veränderung, und ein gut geführter Streit ist wie ein Ventil, das Spannungen abbaut und neue Sichtweisen eröffnet. Davon abgesehen ist es wichtig für den Selbstwert, streiten bzw. einen Standpunkt vertreten zu können.

Menschen, die mit ihrem Selbstwert nicht zurechtkommen, neigen dazu, andere zu erniedrigen. Sie brauchen jemanden, der (zumindest in ihren Augen) schlechter bzw. kleiner ist als sie selbst. Dann stehen sie im Vergleich mit sich nicht so schlecht da. Täter in diesem Sinne sind eigentlich immer Feiglinge und Schwächlinge, da sie keine Gegner, sondern Opfer suchen.

Einer der Gründe, weshalb ich gerne Selbstbehauptungs- und -verteidigungskurse gebe, ist eben der, dass ich dort die Botschaft Gottes an die Teilnehmer weitergeben kann: „Du bist wertvoll.“ Egal, was andere denken, welche Leistungen du bringst oder was du besitzt. Du bist wertvoll und geliebt, weil es dich gibt. Du bist das Traumkind unseres Schöpfers.

Dieser neu verstandene Selbstwert entzieht Gewalt den Nährboden, denn starke Menschen brauchen keine Gewalt. Innerlich starke Menschen wissen, wer sie sind und können über andere positiv denken und reden. Die Verbreitung dieser Einstellung könnte eine positive Revolution auslösen. Den Kindern, die ich unterrichte, stelle ich immer die Frage, was es wohl für ihre Schulklasse bedeuten würde, wenn niemand mehr schlecht über den anderen reden würde.

Leider ist so ein Verhalten wohl selten der Fall, und so müssen wir uns auch anschauen:

3. Was kann man gegen Gewalt tun?

Wichtig ist zuerst einmal zu wissen, dass man nicht hilflos der Willkür eines Täters ausgeliefert ist. Ein Gefühl der Hilflosigkeit unterstützt nur den Täter.

Ohne, dass es die meisten wissen, haben sie um sich herum drei unsichtbare Mauern, die sie schützen: 

Die erste und mit über 90 % Anteil auch die wichtigste ist die Vorbeugungs- oder Präventionsmauer. Hierhinein fällt alles, was Sie tun können, um direkten Kontakt mit einem Täter zu vermeiden – wie z. B. die richtige Wahl des Nachhauseweges, die Sicherheit im Auto oder in der Wohnung usw. Auch Ihre Körpersprache gehört dazu. Wenn Sie Selbstbewusstsein ausstrahlen (und das werden Sie automatisch, wenn Ihr Selbstwert stimmt, denn Ihr Körper lügt nicht), ist es eher unwahrscheinlich, ein Opfer zu werden. Täter fürchten sich vor Menschen, die sich vermutlich wehren werden.

In einem christlichen Fernsehinterview fragte mich die Reporterin einmal, es hieße doch, man solle die andere Wange hinhalten, wenn man angegriffen wird. Meine Antwort darauf war folgende: „Man kann die andere Wange nur hinhalten, wenn man sich auch zu wehren vermag. Wenn man das nicht kann, muss man sie hinhalten.“

Die zweite Mauer heißt „Nein-sagen und Weg-gehen“. Es ist wichtig, zu lernen, dass wir natürliche Grenzen haben bzw. diese setzen dürfen und müssen. Ob es sich beispielsweise um unser Eigentum oder unsere freie Meinung handelt: Kein Mensch hat das Recht, ohne unsere Erlaubnis unsere Grenzen zu überschreiten und uns damit zu nötigen. Wenn das passiert, muss man ein klares „Nein“ formulieren, manchmal vielleicht sogar schreien. Und dann ist es immer sinnvoll, sich von einem potentiellen Täter zu entfernen. Es gilt der Satz: Distanz verschafft mir Zeit.

Erst wenn der Täter mich angreift, brauche ich die letzte Mauer, die mich davor schützt, ihm ansonsten ausgeliefert zu sein. Das ist das eigentliche „Sich wehren“. Das beginnt allerdings nicht erst bei körperlichen Angriffen, sondern schon beim richtigen Umgang mit Beleidigungen, Ausgrenzungen oder gar Mobbing. 

Ein weiteres Lernziel ist es, frühzeitig und richtig Hilfe organisieren zu können. Dies ist ein Punkt, der immer wieder unterschätzt oder falsch angewandt wird. Hilfe muss frühzeitig und persönlich geholt werden. Nicht einfach „Hilfe!“ schreien, sondern Leute direkt ansprechen und diese um ihre Hilfe bitten.

Umgang mit Angst und den eigenen Willen als Mittel gegen einen Täter einsetzen zu können, gehört ebenfalls dazu. Angst lähmt. Deswegen sollte gelernt werden, diese rasch zu überwinden.

Schlussendlich muss ich mich natürlich auch körperlich wehren oder anderen helfen können, wenn es die Lage erfordert. Ob ich mich aus Griffen, Umklammerungen oder einer Bodenlage befreien kann oder weiß, wo und wie ich im schlimmsten Fall schlagen muss, kann entscheidend für meine Rettung sein.

Das alles ist lernbar, würde aber sicher den Rahmen dieses Artikels sprengen. Sie sehen, ich kann Ihnen keine schnellen Rezepte liefern, damit sie von heute an vor jedem Täter gefeit sind. Aber Sie haben die Möglichkeit, Kurse der Art, wie ich sie auch anbiete, zu besuchen. Hier sollten Sie gut auf mögliche Eventualitäten vorbereitet werden.

Neues „Heldentum“

Zum Abschluss möchte ich Ihnen den zweiten Grund nennen, warum ich gerne diese Kurse anbiete: Für mich persönlich ist es wichtig geworden, nicht mehr wegzusehen, sondern Menschen zu helfen, die meine Hilfe brauchen. Ich wünsche mir ein Umdenken, ja, wenn ich so frei schreiben darf, ein neues „Heldentum“ von Menschen, die für andere da sind. „Die Welt wird nicht bedroht von den Menschen, die böse sind, sondern von denen, die das Böse zulassen.“ (Albert Einstein)

Ich glaube daran, dass der bürgerliche Mut nicht erschlagen ist, sondern zu lange verunsichert und damit verschüttet wurde. Es ist höchste Zeit, die Zivilcourage zu reaktivieren.

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