Beten als Erwachsener

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Beten als Erwachsener

Beten ist für viele Christen ein schwieriges Thema. Nicht nur, weil wir uns mit erstarrten Formen des Gebets oder Leistungsdruck von innen oder außen konfrontiert sehen, sondern auch, weil sich unser Verhältnis zu Gott wandelt.

Betend wachsen

Johannes unterscheidet Kinder, Heranwachsende und Erwachsene im Glauben (1 Joh 2,12ff). Beim Kind erscheint Gott als der, der für mich da ist und sorgt; beim Beten dreht sich vieles um die eigenen Bedürfnisse und das unmittelbare Umfeld. Der Heranwachsende testet seine Kraft und sucht den Erfolg – oft über Gebetslisten, Methoden und Strategien. Gott ist mein Halt im Umgang mit den Herausforderungen durch „andere“. Der reife Mensch schließlich sieht weiter und erkennt Gottes Wirken in und über allen Dingen. Er sieht die Gefahr in der Fixierung auf eigene Bedürfnisse und erkennt, wie Gott Feinde und Schwierigkeiten benutzt, um uns zum Guten zu verändern.

Wünsche reifen lassen

Dieses Wachstum verändert unser Gebetsleben. Ich habe das begriffen, als eines meiner Kinder zu Geld kam, das unbedingt und sofort ausgegeben werden „musste“. Die Wünsche wechselten mehrmals täglich. Ich hatte keine Eile mit dem Kauf: bis das Päckchen eingetroffen wäre, wäre schon ein anderer Wunsch aktuell gewesen. Vielleicht macht Gott dasselbe mit uns, damit unser Gebetsleben sich nicht aus oberflächlichen Wünschen speist, sondern wir unsere tiefen, bleibenden Sehnsüchte entdecken und darin einen reiferen Zugang zu Gott entwickeln?

Man muss nicht erwachsen werden im Glauben, sondern kann kindisch bleiben und süchtig nach Trost ohne Zumutung; oder man kann im Stadium des Halbstarken stecken bleiben. Viel frommer Krampf und realitätsferner Triumphalismus, der sich angeblich „von Sieg zu Sieg“ schwingt, deutet das an. Jesus hat seine Jünger gewarnt, nicht zu stolz zu werden auf ihren Erfolg gegen die bösen Geister. Er konnte Gottes Schmerz über diese Welt verstehen. Auch das ist etwas, das ich an mir feststelle: Je älter ich werde, desto tiefer kann ich den Schmerz anderer nachempfinden.

Sich in Geduld üben

Drittens lerne ich von Gott, dass viele Probleme wesentlich komplexer sind und mehr mit mir zu tun haben, als ich bisher dachte. Sie lassen sich nicht einfach „wegbeten“, weil ich darin selbst verwickelt und verstrickt bin: in der Art, wie ich auf andere reagiere oder als Teil eines eingespielten „Systems“ funktioniere – sei das nun die Familie oder eine Firma. Vieles, was mich an anderen nervt, schlummert auch in mir. Diese Ernüchterung macht mich barmherziger und geduldiger. Gottes Interessen sind weiter und größer als meine eigenen. Romano Guardini hat dieses Ziel so beschrieben: „Menschen dieser Art sind es, auf die sich das Dasein verlässt. Gerade weil sie nicht mehr die Illusion des großen Gelingens, der leuchtenden Siege haben, sind sie fähig, zu vollbringen, was gilt und bleibt.“

Im Vaterunser gibt uns Jesus ein gutes Beispiel, wie wir frei von Narzissmus und Kraftmeierei mit Erwartung und Zuversicht beten können. Vielleicht mache ich auf dem Weg dahin weniger Worte und schweige mehr. Vielleicht lerne ich, indem ich Psalmen und Gebete aus dem Schatz der christlichen Tradition als Hilfe (statt als lästiges Korsett) begreife und lerne, aufmerksamer hinzuhören, wenn Gott zu mir auf die unterschiedlichsten Weisen redet.

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