Erfüllende Arbeit hat besonders für Männer einen hohen Stellenwert. Der Job ist existenziell wichtig. Immerhin leben wir davon, und wir versorgen damit unsere Familien. Natürlich gehen auch immer mehr Frauen einer Erwerbsarbeit nach, aber meist in Teilzeit. Die gesellschaftliche Diskussion über die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zielt in erster Linie auf Frauen ab. Von Männern wird in der Regel nach wie vor erwartet, dass sie vollzeitlich dem Arbeitgeber zur Verfügung stehen; danach können sie sich gerne auch noch um die Familie kümmern – wenn sie noch Zeit und Energie dafür haben! Es gibt zwar seit einiger Zeit einen sogenannten „Vaterschaftsurlaub“, den immer mehr Väter für sich in Anspruch nehmen, aber der ist zeitlich begrenzt.
Auch unsere männliche Identität, unsere Selbstwahrnehmung und unser Selbstwertgefühl sind stark mit unserer Arbeit verbunden. Sie hat auch Auswirkungen auf unsere sozialen Kontakte. Entsprechend problematisch wirkt es sich aus, wenn ein Mann arbeitslos oder arbeitsunfähig wird. Ihm wird regelrecht der Boden unter den Füßen weggezogen. Er steht vor der gewaltigen Herausforderung, sich jenseits von Arbeit zu definieren. Das fällt den meisten Männern schwer. Auch der eigentlich heiß ersehnte „Ruhestand“ versetzt viele Männer gefühlt in eine Art Bedeutungslosigkeit.
Der göttliche Charakter von Arbeit
Schon auf den ersten Seiten der Bibel lesen wir davon, dass Gott selbst „arbeitet“, indem er die Welt erschafft. Die Menschen erhalten von ihm den „Arbeitsauftrag“, die Erde zu kultivieren (1 Mose 2,15). Der „Fluch der Arbeit“, der sich u. a. durch die damit verbundene Mühsal äußert, ist eine Folge des Sündenfalls (1 Mose 3,17ff). Arbeit an sich – im ursprünglichen Sinne Gottes – war und ist aber nicht als Fluch gedacht, sondern als schöpferische und befriedigende Tätigkeit, die einem selbst und anderen dient. Erfüllende Arbeit eben.
Es gibt kaum etwas Erfüllenderes für einen Mann als einen Beruf, den er als seine Berufung ausüben kann. Dazu gehören nicht nur die so genannten geistlichen Berufe, sondern alle möglichen beruflichen Tätigkeiten, die dem Willen Gottes und den individuellen Gaben und Fähigkeiten des jeweiligen Mannes entsprechen. Glücksforscher sprechen vom Flow, der sich einstellt, wenn man sich einer Tätigkeit, die einem liegt, voll hingibt und dann in einen rauschähnlichen Zustand kommt. Ja, Arbeit kann wirklich Freude bereiten!
Der lange Weg zur erfüllenden Arbeit
Oft genug ist aber der praktische Arbeitsalltag mit viel Mühe und Stress verbunden. Der Weg zur erfüllenden Arbeit kann ein langer sein, und mitunter sind deutliche Kurskorrekturen vorzunehmen. Ich selbst wäre nicht da, wo ich jetzt bin, wenn ich die Dinge einfach hätte „laufen lassen“. Ich musste erst nach so manchen Umwegen meinen beruflichen Weg finden, der mir und meinen Werten entsprach. Auf dem Weg dorthin gab es Scheitern und Rückschläge. Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich einmal vor vielen Jahren auf der Fahrt zur Arbeit an der Ampel stand und zu Gott betete: „Ich weiß, dass du mich liebst, aber ich wünsche mir auch beruflichen Erfolg!“ Es dauerte noch eine ganze Weile, bis dieses Gebet erhört wurde …
Veränderungen der Arbeitswelt
Die massive Veränderung der Arbeitswelt durch Mobilität und Digitalisierung stellt eine gewaltige Herausforderung dar, bietet aber auch tolle Chancen. Der erste feste Arbeitsplatz im Leben ist inzwischen selten der letzte bis zur Rente. Auch ist der Arbeitsplatz keine feste lokale Größe mehr, sondern kann überall sein: Unsere allgegenwärtige und permanente Verfügbarkeit durch mobile Geräte hat auch die Arbeit für viele ortsunabhängig gemacht und führt uns mitunter um die ganze Welt. Dies sind nur einige der Veränderungen, die stattgefunden haben. Sie führen bei vielen Menschen zu einer Überforderung. Zugleich bieten diese Veränderungen die Chance, den Berufsalltag auf kreative und individuelle Weise zu gestalten. Wer sich z. B. ein gutes Selbstmanagement angeeignet hat und die heutigen technischen Möglichkeiten sinn- und maßvoll nutzt, kann tatsächlich die begehrte „Work-Life-Balance“ verwirklichen. Dann kann der Job zur erfüllenden Arbeit werden.
Bei mir selbst sah das ganz praktisch so aus, dass ich Familie und Job miteinander verbinden konnte, indem ich meinen Arbeitsmittelpunkt nach Hause verlegte. Das ist freilich nicht in allen Berufsfeldern möglich, aber seit der Corona-Pandemie werden zunehmend auch die eher konservativ eingestellten deutschen Arbeitgeber und Arbeitnehmer offener, hier umzudenken (Stichwort Homeoffice). Durch etwas Umorganisation können viele Tätigkeiten von zu Hause aus erledigt werden. Stressige und zeitraubende Anfahrtswege entfallen damit, Arbeitszeiten können flexibel gestaltet werden.
Freilich lauern in unserer veränderten Arbeitswelt auch Gefahren, insbesondere für die sozialen Kontakte. Sehen wir uns aber erst einmal die Chancen an, die sich uns heute bieten wie in keiner Generation vor uns:
– Lebenslange Möglichkeit der Fortbildung und beruflichen Umorientierung,
– flexible Gestaltung von Arbeitsort und Arbeitszeit,
– ein noch nie da gewesenes Maß an Freizeit,
– immer bessere Bezahlung in immer mehr Berufen,
– eine Vielzahl neuer Studiengänge und Berufe.
Nutzen wir diese Möglichkeiten!
Ora et labora
Besser als das Gerede von der „Work-Life-Balance“ gefällt mir die alte benediktinische Ordensregel „ora et labora“ (bete und arbeite). Denn genau genommen handelt es sich hierbei nicht um eine antiquierte und weltfremde Regel für zurückgezogene Mönche, sondern um eine äußerst weise Lebensregel gerade für den gestressten Menschen von heute – insbesondere für Männer. Bei der benediktinischen Regel geht es ja nicht primär darum, feste Gebets- und Arbeitszeiten einzuhalten. Es geht um eine Lebenshaltung und daraus resultierend um einen Lebensstil. Es geht letztlich um betendes Arbeiten oder um Arbeit als Gebet. Man könnte auch moderner sagen: Es geht um das Gleichgewicht von Spiritualität und Arbeit.
Denn oft genug ist unser Glaubensleben meilenweit von unserem Arbeitsalltag entfernt. Unseren Glauben leben wir (sonntags) in der Gemeinde, und in der Arbeitswoche wird ums Überleben gekämpft. Hans-Peter Rösch beleuchtet diesen wichtigen Aspekt in einem anderen Artikel.
Überlegen Sie sich mal, was sich ändern müsste – oder besser gesagt: was Sie ändern müssten –, damit Ihre Arbeit zum Gebet wird.
Maß halten
So sehr es einem gesunden und arbeitsfähigen Mann auf Dauer schadet, nicht oder zu wenig zu arbeiten, so sehr schadet es ihm, wenn er zum „Arbeitstier“ wird. Damit sind nicht die Überstunden gemeint, die manchmal unumgänglich sind, oder bestimmte Stoßzeiten, wenn Termine eingehalten werden müssen. Das verkraftet man in aller Regel. Es gibt aber viele Männer, die, ohne es zuzugeben, regelrecht arbeitssüchtig sind. Neudeutsch bezeichnet man solch einen Mann als Workaholic. Er wird von der Arbeit getrieben, alles wird der Arbeit untergeordnet, er kennt kein Maß, sein Perfektionismus ist grenzenlos. In christlichen Kreisen findet man dafür sogar fromme Begründungen („alles geben wie Jesus“) und erwartet dieselbe aufopferungsvolle Arbeitshaltung auch von seinen Mitarbeitern.
Die Bibel ist auch hier wesentlich ausgewogener als wir es oft sind. Sie ermahnt uns zwar: „Geh hin zur Ameise, du Fauler, sieh an ihr Tun und lerne von ihr!“ (Spr 6,6) Aber sie warnt uns auch: „Vergebens ist es für euch, dass ihr früh aufsteht, euch spät niedersetzt, das Brot der Mühsal esst. So viel gibt er seinem Geliebten im Schlaf.“ (Ps 127,2) Es gibt eine Art „göttliche Leichtigkeit“, die wir Männer für uns entdecken dürfen. Sie ist eine Frucht der Erkenntnis: „Es hängt nicht alles von mir ab.“ Sie wird getragen von Gottvertrauen und dem stetig neuen Auftanken in seiner Nähe, die uns Kraft gibt. Leider zapfen wir diese Kraftquelle, die Gott selbst ist, viel zu wenig an. Deswegen verausgaben wir uns oft über ein gesundes Maß hinaus.
Ein sinnvolles Leben und ein erfüllendes Arbeitsleben sind mehr als eine steile berufliche Karriere, ein großes Haus und ein fettes Auto. Wesentlicher und sinnstiftender sind unsere Beziehungen, vor allem zu unserer Familie und unseren Freunden. Diese sollten wir nicht für unsere Arbeit opfern. Arbeit ist wichtig und verhindert ein leeres Bankkonto. Aber unser Zeitkonto ist auch wichtig! Denn am Ende unseres Lebens werden wir nicht die Überstunden vermissen, sondern all das, was wir deswegen verpasst haben. Noch ist es nicht zu spät …