Der entmännlichte Jesus

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Der entmännlichte Jesus

Es ist bedauerlich: Weniges wurde so verzerrt dargestellt wie Jesus als Mann. Ganz im Gegensatz zu dem, wie er in den Evangelien präsentiert wird, hat die Religion ihn komplett entmännlicht. Sie hat eine Art zölibatären Wandermönch aus ihm gemacht, der – triefend vor Harmlosigkeit und Moral – mit blassem Teint und eben solch einem trüben Heiligenschein mildtätig lächelnd umherzieht und die Leidenden auf den Himmel vertröstet. 

Was ist „heilig“?

Solche Attribute werden dann auch mit Heiligkeit verwechselt: Ein „heiliger Mann“ ist ein tugendhafter, keuscher, weltfremder, ein wenig entrückt wirkender Typ, der in einem Studierzimmer lebt und eine Bibel unter dem Arm trägt. Er ist immer beherrscht, immer nett, immer bemüht um die sozial Benachteiligten. Er ist aber irgendwie untauglich für das wirkliche Leben.

Jesus – der echte aus den Evangelien – zeigt sich da ganz anders: Wir sehen einen Zimmermann und nicht einen Mönch. Er führt über Jahre ein ganzes Team von verschworenen Männern an, um das Reich Gottes in einer bis dahin nie gesehenen Macht und Kraft zu demonstrieren. Er vollbringt Zeichen und Wunder, heilt übernatürlich und treibt Dämonen aus. Er konfrontiert das fromme Establishment und wird im Tempel mehr als handgreiflich (Joh 2,14ff). Die Pharisäer halten ihn für alles andere als „heilig“, ganz im Gegenteil bezeichnen sie ihn als Teufel und sorgen für seine öffentlichkeitswirksame Hinrichtung.

Nein, der echte Jesus passt nicht in unsere Klischees von Heiligkeit. Ich fürchte, er würde aus unseren Kirchen heute genauso hochkant rausgeworfen werden wie seinerzeit aus den Synagogen.

Nicht nur fromme Sprüche

Einige Aspekte von Jesu Heiligkeit fallen uns besonders ins Auge:

Er gab nicht nur fromme Sprüche von sich, er tat auch alles, was er sagte. Reden und Handeln waren ein und dasselbe – und das ist ein zentraler Aspekt von Heiligkeit: Integrität. Er war genau das, was er sagte, und er tat es auch entsprechend. Sein Innen und Außen, Denken, Reden und Handeln waren deckungsgleich. Er war wahrhaftig. Er erwies sich als vollkommen zuverlässig. Heuchelei, Lüge, Betrug, Schmeichelei, Korruption – so etwas kam bei Jesus nicht vor. 

In dieser Wahrhaftigkeit hatte Jesus auch einen unfassbaren Durchblick. Man konnte ihm nichts vormachen, er wusste ganz genau, was Sache war, blickte hinter die Motive und Absichten, erkannte selbst die tiefsten und feinsten Gedanken der Leute. Und dann war er auch in der Lage, das alles zu benennen und ans Licht zu bringen. 

Jesus glaubte ganzheitlich. Sein Reden, sein Auftreten und Handeln waren der Ausdruck seiner Überzeugungen, und er brachte sie sowohl machtvoll als auch furchtlos zum Ausdruck. Er war bereit, bis aufs Äußerste zu gehen und sich mit allen Mächten und Gewalten dieser Welt anzulegen.

Jesu Heiligkeit war zudem keineswegs abgehoben und unberührbar, sondern ganz im Gegenteil bewegte sich Jesus kaum in sakralen Gebäuden, sondern mitten unter den Leuten und mitten im Leben und war dermaßen nahbar, dass er selbst die Aussätzigen anfasste und zum höchsten Ärger der Pharisäer mit den „Zöllnern und Sündern“ zu Tisch saß. 

Das zieht Männer an

Wenn wir nur diese wenigen Aspekte zusammenfassen, dann müssen wir sagen: Wenn das keine taffe und für Männer attraktive Heiligkeit ist, was dann?! 

An Jesus sehen wir eine solche Qualität von männlicher Heiligkeit oder heiliger Männlichkeit, dass es nicht nur die zwölf Männer, die seine Jünger waren, zu ihm zog; siebzig weitere Männer, von denen wir ebenfalls lesen und noch weit größere Zahlen von Männern zog es zu ihm. Es war wie zuvor bei David, zu dem sich Tausende von Männern in der Wüste sammelten, weil sie erkannten, dass er der „Gesalbte Gottes“ war.

Gesalbt zu sein, das bedeutet: erwählt, bestimmt, befähigt und gesandt von Gott, also geheiligt für eine Mission zu sein, die nur in der Kraft und mit dem Charakter Gottes zu erfüllen ist. 

Das Beste, was uns passieren kann

Männer, wir müssen uns fragen, was für eine Idee von Heiligkeit wir haben? Es könnte für unser Leben und Christsein einen bedeutenden Unterschied machen. Geheiligte Männlichkeit ist nämlich das Beste, was uns widerfahren kann! 

Könnte es sein, dass eine angeblich christliche Religion uns um das Größte betrügt, indem sie den Begriff Heiligkeit mit komplett anderen Inhalten füllt und uns damit vom „heiligen Weg“ abhält, der uns in all die genannten Dimensionen des echten Jesus hineinführen würde? Wer ist es eigentlich, der uns in die wahre Heiligkeit hineinführt? Es ist der Heilige Geist, wie sein Name schon nahelegt. Er allein kann uns offenbaren, was Heiligkeit bedeutet, denn man kann sich das nicht aus Büchern und Predigten aneignen. Heiligkeit kann man nur erfahren – in der Gegenwart Gottes.

Unsere Position einnehmen

In der Schöpfungsgeschichte lesen wir, dass der Mensch im Bilde Gottes geschaffen ist, als sein Gegenüber. Nehmen wir diese Position ein und setzen uns Gottes Gegenwart aus, dann werden wir wie er: heilig. Heilig sein ist Wie-Gott-Sein, aber nicht, indem wir es selbst versuchen, sondern indem wir seine Heiligkeit, sein Wesen, übernehmen: wie Kinder das Wesen ihrer Eltern übernehmen, indem sie bei ihnen sind. Sie sprechen bald deren Sprache, obwohl sie keinen Unterricht darin hatten. Sie adaptieren das gesamte Verhalten ihrer Eltern, indem sie bei ihnen sind. 

Genau das ist der Schlüssel. Sind wir bei Gott durch Jesus Christus, der die Trennung (die Sünde) aus dem Weg geräumt hat und erfahren wir die Gegenwart unseres Vaters durch die Offenbarung des Heiligen Geistes, wie es von Anfang an gedacht war, dann sind wir in der Position der Kinder, die das Wesen des Vaters in sich aufnehmen. Wir werden dann ohne eigene Anstrengung heilig bzw. geheiligt, denn sein Geist verwandelt uns in sein Bild – von Herrlichkeit zu Herrlichkeit. Unsere Identität liegt in ihm. Er ruft uns bei unserem Namen. Er ist unser Vater, wir sind seine Söhne.

Der heilige Weg

Heilige Männer sind also Männer, die den Weg (zurück) in die Gegenwart Gottes gefunden haben. Es sind Männer, die die Erlösung nicht nur angenommen haben, sondern auch anwenden, um einen ganz neuen Weg zu gehen, den Weg des Anfangs, den Weg der Sohnschaft, den heiligen Weg. 

Eine unheilige Welt wartet auf die Offenbarung der Söhne Gottes, um an ihrer Herrlichkeit teilzuhaben (Röm 8,19). Nichts anderes als die Heiligkeit selbst kann die Welt aus dem Fluch der Sünde erretten und wiederherstellen. Darum sucht sie Männer, die sie salben und durch die sie wirken kann: Zeichen und Wunder, Heilung und machtvolle Demonstrationen des Reiches Gottes sowie die furchtlose Konfrontation des frommen Establishments, die die Heiligkeit zunichte gemacht und entstellt hat. Daran hat sich seit Jesus nichts geändert – und nichts ist männlicher als heilige Männlichkeit.

„Und da wird eine Straße sein, ein Weg, und er wird der heilige Weg genannt werden … und die Erlösten werden darauf gehen.“ (Jesaja 35,8a + 10a)

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