Obwohl Jakob und Esau Zwillinge waren, hatten sie von Geburt an ein rivalisierendes Verhältnis zueinander (1 Mose 25,23-26). Sie waren so unterschiedlich wie zwei Männertypen nur unterschiedlich sein können.
„Die Jungen wuchsen heran. Esau wurde ein erfahrener Jäger, der gern im Freien herumstreifte. Jakob dagegen war ein ruhiger Mann, der lieber bei den Zelten blieb. Isaak mochte Esau mehr als Jakob, weil er gern sein gebratenes Wild aß; Jakob war Rebekkas Lieblingssohn.“ (1 Mose 25,27f. – Hoffnung für alle)
Auf der einen Seite Esau, der stark behaarte, naturverbundene Jägertyp, der gerne aß und dem eine Ehefrau nicht ausreichte (1 Mose 26,34f.; 28,9). Auf der anderen Seite Jakob, ein eher ruhiger Männertyp, der sich gerne zu Hause aufhielt und später bereit war, für seine geliebte Rahel sieben bzw. vierzehn Jahre zu investieren, um sie zur Frau zu bekommen (1 Mose 29,18-27). Esau, der Stolz des Vaters – und Jakob, das Muttersöhnchen.
Doch das Muttersöhnchen war gerissen: Er brachte Esau, der nur an seinen Bauch dachte, glatt um sein Erstgeburtsrecht – für einen Teller Linsenbrei (1 Mose 25,29-34). Immerhin sicherte das Erstgeburtsrecht den doppelten Anteil am väterlichen Erbe, für Jakob kein schlechter Deal! Doch damit nicht genug, haute er seinen Bruder später noch einmal gewaltig übers Ohr: Mit Unterstützung seiner nicht weniger gerissenen Mutter sicherte er sich durch Hinterlist den universalen Segen seines Vaters: Wohlstand und Macht (1 Mose 27, 1-29). Esau ging dabei leer aus (1 Mose 27,35-38).
Allerdings wurde auch Jakob, das Schlitzohr, später von seinem Onkel Laban über den Tisch gezogenen: Der drehte ihm glatt seine nicht besonders attraktive Lea an, und Jakob bemerkte es zu spät (1 Mose 29,21-24); auf der Party am Vorabend wird wohl reichlich Alkohol geflossen sein, anders kann ich mir diese nächtliche Verwechslung der Bräute nicht erklären!
Obwohl eigentlich Esau der Haudegen war (1 Mose 27,40), kam auch Jakob ums Kämpfen nicht herum. Er musste sich sogar einem Gegner stellen, den er unmöglich besiegen konnte – Gott selbst (1 Mose 32,25-29). Dieser Kampf beförderte das einstige Muttersöhnchen zum Gotteskämpfer, denn Jakob hieß ab jetzt Israel (d. h. Kämpfer Gottes).
Wenn Sie urteilen müssten: Wer der beiden Männertypen hätte wohl Gottes Gunst eher verdient – der einfache, aber gradlinige Esau, oder der schlaue, aber betrügerische Jakob? Gott wäre allerdings nicht Gott, wenn er sich an unsere Maßstäbe halten würde. Er erwählte Jakob bzw. Israel.
Wir lesen von Jakob, dass er einen besonderen, unmittelbaren Zugang zur geistlichen Welt hatte: Im Traum hatte er eine Vision vom Himmel (1 Mose 28,10-16), er begegnete Engeln (1 Mose 32,2f.) und Gott selbst (1 Mose 32,31). Solches lesen wir von Esau nicht.
Esau- und Jakob-Männertypen
Wollte man uns Männer grob aufteilen, könnte man uns in zwei Männertypen untergliedern: die Gruppe vom Typ Esau und die Gruppe vom Typ Jakob. Da gibt es auf der einen Seite die eher bodenständigen Männer, die gerne praktisch anpacken, es lieben, unterwegs zu sein und immer irgendwie „auf der Jagd“ sind. Das sind die eher rauen, auffälligen Typen, die kein Blatt vor den Mund nehmen. Ihren Zugang zu Gott finden sie am ehesten über die Schöpfung: In der Schönheit der Natur erkennen sie Gott, den Schöpfer. Beim Wandern oder Erklimmen eines Berggipfels beispielsweise können sie durchaus spirituelle Erlebnisse haben.
Auf der anderen Seite gibt es die Männertypen, die man leicht übersieht, ruhige Gesellen, die aber das Gespräch und die Diskussion lieben und lieber zu Hause ein Buch lesen, statt draußen wandern zu gehen. Ihr Zugang zu Gott ist eher mystischer Natur: In der Abgeschiedenheit, im Gebet (auch mit anderen), in der Stille finden sie Gottes Nähe.
Dies ist eine ganz grobe Einteilung. Freilich gibt es viele Abweichungen in die eine oder andere Richtung, also nur tendenzielle Esau- oder Jakob-Typen; darüber hinaus gibt es die Mischtypen. Wie würden Sie sich zuordnen? Und warum ist dies überhaupt von Bedeutung?
Unsere Art von Mannsein, unsere Art, dieses Mannsein auszuleben, ist davon abhängig. Sie wirkt sich auf unsere Arbeit, unsere Freizeitgestaltung, unser Verhältnis zu Frauen – und unser Verhältnis zu Gott – aus, um nur einige Bereiche zu nennen.
Esau und Jakob waren beide echte Männer! Und doch waren sie so unterschiedlich. So sind auch wir Männer – und damit unsere Ausformungen von Männlichkeit – unterschiedlich. Oft erlebe ich, wie beide Typen aufeinander prallen und mit der anderen Art von Männlichkeit nicht klar kommen. Man redet aneinander vorbei, kann nicht nachvollziehen, was der andere meint. Dem Praktiker ist der andere „zu theoretisch“ oder zu vergeistigt; umgekehrt findet man den anderen zu pragmatisch, zu oberflächlich. Dies macht eine Zusammenarbeit oft schwer.
Sogar die verschiedenen Männerarbeiten und Männergruppen kann man grob in die beiden oben genannten Gruppen einteilen: Da gibt es die eher camp- oder wanderorientierten Männerarbeiten, Männerevents mit Klettern, Geländefahrten, Überlebenstraining im Freien etc., oder die eher vortragsorientierten, auf Literatur und Diskussionen basierenden Veranstaltungen. Manche Männerarbeiten schaffen es, beides anzubieten; so gibt es auf dem jährlichen Team.F-Männertag seit einigen Jahren sowohl Vorträge und Workshops, als auch Outdoor-Aktivitäten, und dieses Konzept scheint bei den Männern gut anzukommen.
Wenn wir uns fragen, wie wir Männer erreichen und ansprechen können und wie wir sie z. B. in unsere Gottesdienste holen können, müssen wir uns mit dem Unterschied zwischen den Esau- und Jakob-Typen auseinandersetzen. Über die meisten Gottesdienste werden wir wohl eher die Jakob-Typen erreichen; die Esau-Typen erreichen wir eher mit Aktivitäten wie Baueinsätzen, Grillfeiern, Wanderungen etc. – vielleicht mit Open-Air-Gottesdiensten.
Wollen wir mit einem Esau-Typ über Gott sprechen, wird es wenig bringen, wenn wir ihm davon erzählen, wie wir „Gott in unserem Herzen spüren“ und ihm im Gebet begegnen. Aber wenn wir ihn zu einer Bergtour mitnehmen und oben am Gipfel angekommen sind und ihm sagen: „Wie groß muss Gott sein!“, dann wird er verstehen, was wir meinen. Mit einem Jakob-Typ müssen wir keine großartige Sache unternehmen, eine Einladung zu einem Gespräch zu Hause reicht oft aus, um mit ihm auf eine tiefe Ebene zu kommen.
Versöhnung mit dem anderen Typ
Die Geschichte von Esau und Jakob, deren Verhältnis von Rivalität, Neid, Hinterlist und Rachegefühlen geprägt war, endet mit der Versöhnung der beiden Brüder (1 Mose 33). Nachdem sie beide Gottes Segen und Herausforderungen auf unterschiedliche Weise erlebt haben, sind sie zu einer Reife gelangt, die es ihnen ermöglicht, aufeinander zuzugehen und sich miteinander zu versöhnen.
Diese Versöhnung wünsche ich mir für uns auch, sowohl auf der persönlichen Ebene als auch auf der Ebene der Männerarbeit:
Persönlich könnte das für jeden von uns bedeuten, dass man sich zunächst mit dem Esau bzw. Jakob in einem selbst versöhnt und dadurch ganzheitlicher wird. Beim Schreiben dieses Artikels habe ich mich selbst gefragt, ob ich wohl eher ein Jakob- oder ein Esau-Typ bin. Es fällt mir schwer, mich eindeutig zuzuordnen, tendiere aber wohl eher zum Jakob. Mich mit Esau zu versöhnen, heißt für mich z. B., immer wieder mal aufzubrechen, mein Redaktionsbüro zu verlassen, wegzufahren. Als ich mal einen Freund besuchte, hieß das praktisch, sich mit ihm auf eine Wanderung einzulassen, die immer ungemütlicher wurde und am Ende nur noch durch nasses Gestrüpp führte! Umgekehrt erlebte ich einmal, wie mich der Leiter einer Männerarbeit besuchte und mich mit den Worten an der Tür begrüßte: „Hier bin ich. Was machen wir jetzt?“ Offensichtlich fehlte ihm die konkrete Unternehmung, denn eigentlich wollte ich ihn nur treffen, um ihn näher kennen zu lernen.
Auf der Ebene der Männerarbeit heißt das, beide Männertypen (und alle Varianten) im Blick zu haben und entsprechende Angebote zu gestalten. Wenn wir alle Männer erreichen wollen, sollten wir uns nicht auf eine bestimmte Art von Männerarbeit versteifen: Nicht jeder Mann liebt es, durch die Wälder zu streifen, und nicht jeder Mann liebt es, stundenlang in einem Raum zu sitzen! Was bei den meisten Männern gut ankommt, ist alles in Verbindung mit Essen. Bei dem Team.F-Männertag, bei dem ich die letzten Jahre mitgearbeitet habe, hatten wir früher rein verbale Angebote: Referate und Seminare. Als wir anfingen, auch möglichst praxisorientierte Workshops und Outdoor-Aktivitäten anzubieten, stieg die Teilnehmerzahl rapide.
Doch auch auf der Ebene unserer Gemeinden und Gemeinschaften sollten wir sowohl die Esaus als auch die Jakobs im Auge behalten und uns mit beiden Typen versöhnen. Fragen Sie sich in Ihrer konkreten Situation vor Ort, was man dafür ändern müsste und sprechen Sie mit den verantwortlichen Leuten darüber.
Noch ein Wort zum Schluss: Auch wenn in der biblischen Geschichte Jakob insgesamt besser abschneidet als Esau – bei der Übertragung auf uns heute sollten wir keine Bewertung vornehmen. Beide Männertypen sind nötig, wir brauchen Esaus und Jakobs, beide sind geliebte Söhne Gottes.