Seit einigen Jahrzehnten besucht die Emmausbewegung Männer im Gefängnis – seit über zehn Jahren auch wöchentlich im Stuttgarter Gefängnis Stammheim. Die Emmausgruppe wird wie andere Angebote im Gefängnis offiziell als Freizeitgruppe geführt.
An jedem Gruppentreffen dürfen bis zu zwölf Gefangene teilnehmen. Während der Gruppentreffen sind die Mitarbeiter mit den Gefangenen gemeinsam in einem Trakt eingeschlossen – ohne Bewachung durch Beamte der JVA. Die Zusammensetzung der Gruppe spiegelt auch die Realität des Gefängnisses wider: nur wenige deutsche Häftlinge besuchen die Gruppe. Es sind hauptsächlich Ausländer aus allen möglichen Nationen. Es kommt auch vor, dass nur ausländische Männer kommen – darunter auch welche, die überhaupt kein Deutsch können.
Viele Muslime
Der Missionsauftrag von Jesus (Mt 28,19f), zu allen Völkern zu gehen, wird hier „von hinten“ gelebt. Die Völker kommen zu uns. Ich hätte niemals gedacht, dass ich jemals unter Muslimen das Evangelium verkünden würde. Das war überhaupt nicht in meinem Lebensplan vorgesehen. Im Gefängnis ist das aber die Regel. Häufig fangen sie an, auf ihren Zellen in der Bibel zu lesen. Es ist hoch interessant, mit diesen Männern über das Wort Gottes zu reden.
Ständiger Wechsel
Stammheim ist ein typisches U-Haft-Gefängnis. Die meisten Häftlinge sind von ihrer Inhaftierung bis zu ihrem Urteil in Stammheim. Danach werden sie in andere Anstalten verlegt. Das heißt für unsere Gruppe, dass wir einen großen Wechsel haben: manchmal wird innerhalb eines halben Jahres die komplette Gruppe ausgewechselt.
Not und Leid begegnen
Wir begegnen dort Männern, denen wir im Alltag nie begegnen würden: Vom kleinkriminellen Drogendealer über Steuerhinterzieher in Millionenhöhe bis hin zum Menschenhändler, Betrüger und Vergewaltiger. Diebstahl, Zuhälterei, Körperverletzung mit Todesfolge – bei den Straftaten ist alles dabei, was Paulus in Galater 5 mit den „Werken des Fleisches“ beschreibt. Und diese Männer kommen freiwillig, ungezwungen und wollen von Jesus hören – aber noch viel mehr, dass wir uns Zeit nehmen, ihnen zuzuhören. Da ist so viel Not, Schmerz und Leid in diesen Leben, dass die Aufforderung „einer trage des anderen Lasten“ (Gal 6,2) noch einmal eine ganz neue Dimension bekommt.
Der Zelle entfliehen
Untersuchungs-Häftlinge haben kein Anrecht auf einen Arbeitsplatz im Gefängnis. Das bedeutet 23 Stunden Einschluss am Tag mit einer Stunde Hofgang während der U-Haft. Freizeitgruppen sind deshalb sehr begehrt unter den Gefangenen. Es kommen auch welche, die zunächst einfach mal aus ihrer Zelle raus wollen – sie haben gar kein Interesse an irgendwelchen Inhalten und setzen sich dem trotzdem aus.
Christus im Gefängnis
Thematisch bereitet sich immer einer der Mitarbeiter auf einen biblischen Text vor. Wir beginnen mit einem Gebet und einer anschließenden „Blitzlichtrunde“, bei der wir uns darüber austauschen, wie es uns geht. Oftmals erfordert das die Hälfte der Zeit, weil irgendetwas zur Sprache kommt, das nicht übergangen werden kann. Wenn wir uns dann über den biblischen Text ausgetauscht haben, bitten uns die Gefangenen am Schluss oft, für sie und ihre persönlichen Anliegen zu beten. Manchmal singen wir auch einfache Lieder. Die Gefangenen dürfen Wünsche äußern. Geistliche Lieder mit diesen Männern zu singen ist sehr bewegend. Nicht selten muss die eine oder andere Träne zurückgehalten werden oder fließt einfach.
Diese Männer erleben dort etwas, was sie in ihrem ganzen Leben noch nicht erlebt haben. Es gibt Momente, in denen wir nur noch staunen können, wenn Gott das Herz dieser Männer berührt. Das sind Momente, in denen wir begreifen, dass Jesus schon lange vor uns im Gefängnis war, um diesen Männern zu begegnen. Da wird dieser schreckliche Ort plötzlich zu einem heiligen Tempel. Wir erleben auch – nicht häufig, aber immer wieder –, dass Männer ihr Leben Jesus übergeben. Für mich ist es eines der größten Privilegien, die ich mir vorstellen kann, dass ich durch die Gnade Gottes erleben darf, wie Männer von ihrem Irrweg umkehren und mehr und mehr zu den Menschen werden, zu denen sie Gott berufen hat.
…finde ich hochinteressant. Der Bericht rüht mich auch in meinem Herzen an.