„Jeder Bruder ist ein der Bruderschaft gegebenes Geschenk.“
So steht es in den Konstitutionen meiner Ordensgemeinschaft, der Franziskaner. Wow, welch klasse Ideal! Geschenke können eine ziemliche Herausforderung sein! Geschenke gefallen mir, ich nehme sie gerne an. Geschenke kann ich aber auch ablehnen. Im Gegensatz zu einer Partnerschaft oder einem Freundeskreis habe ich mir meine Mitbrüder nicht ausgesucht. In einer Ordensgemeinschaft verbindet uns nicht Sympathie, sondern die Gottsuche und die gemeinsame spirituelle Grundausrichtung. In meinem bzw. unserem Fall ist dies die Lebensform des heiligen Franziskus (1181-1225 n. Chr.).
Im 13. Jahrhundert hat der wohl bekannteste Heilige in Italien eine Gemeinschaft gegründet, deren Kern die „Bruderschaft“ ist. Alle Mitglieder sind gleichberechtigt ohne hierarchische Über- oder Unterordnung. Als Brüder sollen wir uns einander als „Hausgenossen“ erweisen, d. h. in großer Achtsamkeit füreinander Sorge tragen und einander dienen. Ein solches „mütterlich“ geprägtes Modell stellt für eine Männergemeinschaft durchaus nicht den Normalfall dar. Ein zentrales Männerthema ist immer das der Macht und damit auch der Konkurrenz. Anderen „untertan“ sein, „mich nicht über andere erheben“, „nicht verurteilen“, wie Franziskus dies fordert, muss ich immer wieder einüben.
Gemeinsam stark
Aus der „Schwäche“ für Gott erwächst die „Stärke“ für die Menschen. Als Friedensstifter durch die Welt zu ziehen war das große Anliegen von Franziskus. Heute heißt das, als Gemeinschaft miteinander darum zu ringen, wie wir uns für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung einsetzen können. Unsere „Macht“ zu nutzen bedeutet dann, Sprachrohr für die „Machtlosen“, für die Ausgegrenzten zu sein, deren Stimme nicht gehört wird. „Gemeinsam sind wir stark“ heißt konkret: Als weltweite Ordensgemeinschaft machen wir uns über unsere Nichtregierungsorganisation Franciscans International mit Sitz in Genf stark für die Menschenrechte. Die rund eine Million Schwestern und Brüder der Franziskanischen Ordensfamilie schöpfen dabei aus ihren Erfahrungen mit Menschenrechtsverletzungen vor Ort rund um den Globus.
Mein gesellschaftspolitisches Engagement gründet in der franziskanischen Spiritualität. Ich erlebe (m)eine Gemeinschaft als großen Rückhalt. Sie ermöglicht mir, in größerer Freiheit Dinge kritisch beim Namen zu nennen. Auch im Glaubensleben ist mir die Gemeinschaft eine große Hilfe. Die festgesetzten Zeiten von Gebet, Gottesdienst und gemeinsamen Mahlzeiten geben dem Tag eine Struktur, die ich für mich allein kaum durchhalten würde. Das gemeinschaftliche Bibel-Teilen einmal im Monat und der Austausch bei geistlichen Abenden dienen der Selbstvergewisserung der Einzelnen, aber ebenso der Gemeinschaft. Die Ausrichtung auf Gott richtet uns neu aus als Gemeinschaft und im Dienst an den Menschen. Auch nehmen wir uns regelmäßig Zeit, einander über unsere Befindlichkeit zu erzählen. Dies ist sinnvoll, da es in den normalen Alltagsgesprächen oft bei den Oberflächlichkeiten bleibt. Über die Fußball-Bundesliga lässt sich eben leichter debattieren als über unsere Gotteserfahrungen und das, was mich persönlich tatsächlich existentiell bewegt.
Brüderlich ist männlich
Dies mag auch daran liegen, dass wir Männer uns eher über Arbeit und unsere Rollen definieren als über Beziehungen. Wenn Gemeinschaften durch Versetzungen der Brüder an andere Orte neu zusammengestellt werden, dann geht es vorrangig um die Besetzung von Arbeitsplätzen, nicht um die „ideale“ Gemeinschaft. In unserem früheren Franziskanischen Zentrum für Stille und Begegnung ermöglichten die unterschiedlichen Aufgaben von Hausleiter, Referent, Ökonom, Rezeption und Hausmeister das Einbringen der unterschiedlichen Fähigkeiten und die Arbeit am selben Projekt. Gemeinschaft erwächst aus dem gemeinsamen Tun ebenso wie aus gemeinsamen Freizeitaktivitäten. Sie braucht das ehrliche Interesse aneinander, die Bereitschaft, den anderen Bruder in seinem Anderssein als Bereicherung zu erfahren und den Mut, einander durch die „brüderliche Zurechtweisung“ weiter zu helfen, damit „die gesamte Bruderschaft ein bevorzugter Ort der Begegnung mit Gott wird“.
„Jeder Bruder ist ein Geschenk Gottes.“: Das ist täglich neu auszupacken. Es bedeutet Ansporn und Anspruch, hinter dem Geschenkpapier den Menschen in seiner ganzen Fülle zu entdecken, mit seinen mir angenehmen Schokoladenseiten, aber ebenso mit seinen herausfordernden Schattenseiten. Jeder Bruder ist eine Zu-Mut-ung, im negativen wie im positiven Sinn. Das ist Gemeinschaft live und in Farbe!