Klagen und vertrauen?

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Klagen und vertrauen?

Martin Wurster, Missionar in Taiwan, ist davon überzeugt: „Ich darf Gott voll-klagen.“

Eines Abends fährt er nach einem langen Arbeitstag mit dem Motorroller heim, als ihm ein Auto die Vorfahrt nimmt. Er stürzt auf seinen Rücken, dabei wird sein dritter Brustwirbel völlig zertrümmert. Statt künftig in China eine Arbeit mit schwerhörigen Kindern aufzubauen, fliegt er querschnittsgelähmt mit Frau und fünf kleinen Kindern zurück nach Deutschland.

Wurster wächst mit sieben Geschwister in einem christlichen Elternhaus auf. 1977 findet er zum lebendigen Glauben und entschließt sich nach einem Gespräch mit einem befreundeten Theologiestudenten, Missionar zu werden. Seine Mutter stimmt dem Wunsch ihres Sohnes gerne zu. Sie hatte bei seiner Geburt Gott versprochen, dass sie ihren Sohn ihm ganz überlasse, wenn er – nach drei kranken Kindern – gesund aufwachse.

Nach dem Theologiestudium geht Wurster nach Taiwan und erlebt ein „Sprachenwunder“: Er lernt in zwei Jahren Taiwanisch, später sogar noch Mandarin – und das, obwohl er aufgrund schlechter Deutsch- und Englischnoten vom Gymnasium geflogen war. 14 Jahre lang ist Wurster mit seiner Frau Ulrike in Taiwan u. a. als Pastor und Leiter einer Jugendorganisation tätig. Dabei knüpft er auch Kontakte zu Spachheilzentren in China. Das Paar bekommt fünf Kinder. Dann der Unfall.

Trost durch die biblischen Psalmen

Für Wurster bricht eine harte Zeit an. Trost findet er in den Psalmen, da er erkennt: Ich darf Gott „voll-klagen“ und alle meine Warum-Fragen stellen. Den Theologen tröstet, dass Gott ihn schon immer gekannt und gesehen hat: „Wenn Gott so etwas zulässt, dann vertraue ich darauf, dass er mitgeht und es zu seinem Plan gehört. Ein Leben im Rollstuhl kann vielleicht sogar reicher sein als auf zwei Füßen.“ Wurster kann als Missionsreferent bei der Liebenzeller Mission weiterarbeiten. Außerdem hilft er mit, den Hilfsbund Global Team aufzubauen, der in China ein Patenschaftsprojekt für hörbehinderte Kinder betreibt und Gehörlose ausbildet.

„Muss es immer so ein großes Wunder sein?“

Auch nach 15 Jahren betet Wurster immer noch um Heilung – aber er fragt sich: „Muss es immer dieses großes Wunder sein?“ Nach seinem Unfall hat er viele Wunder erlebt: So hatte ihm zwei Jahre zuvor ein Freund dringend zu einer Unfall- und Lebensversicherung geraten. Dank dieser konnte er sich ein behindertengerechtes Haus bauen lassen. Die Berufsgenossenschaft stellt ihm die besten Rollstühle zur Verfügung, und er erhält 80 Prozent seines letzten Lohnes als Rente.

Lass dich ganz auf Gott ein

Was sagt er Behinderten, die nicht so viel Glück hatten? Er ermutigt sie, zu klagen und zunächst kleine Schritte zu lernen und nicht zu erwarten, dass Gott heilen muss. „Egal, was kommt: Lass dich ganz auf Gott ein und stelle dich der Situation mit seiner Hilfe“, rät Wurster. Gott kann auch durch schwere Zeiten führen. Christen sollten andere nicht mit Worten, sondern mit Taten begleiten: „Am meisten half mir ein Mit-Christ, der kein Wort sagte, sondern einfach meine Hand hielt und mich reden ließ. Er sagte nicht, „du musst Gott vertrauen.“ Das musste ich selbst erleben.“ Inzwischen ist Wurster Prädikant und gehört als erster Rollstuhlfahrer seit 2013 der württembergischen Landessynode an. Außerdem ist er begeisterter Bogenschütze; er brachte es sogar zum württembergischen Meister.

Mit 160 km/h der Erde entgegen

Vor zweieinhalb Jahren erfüllte sich Wurster einen großen Lebenstraum: Er sprang zusammen mit einem Partner mit einem Fallschirm aus 4.000 Meter Höhe ab und flog mit 160 km/h der Erde entgegen. „Ich wollte beweisen: Auch als Rollstuhlfahrer kann man sehr viel Freude im und am Leben haben. Das Großartige ist, dass wir in Gottes Hand geborgen sind.“ Wurster ist überzeugt: Auch bei einem Leben, das öfter durchkreuzt war und durchgekreuzt wird, geht Gott immer mit: „Er kennt und führt mich: Das ist einfach schön!“

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