Gemeinsames entdecken – bevor die Gefühle tot sind

© Manuel Meurisse / unsplash.com

Gemeinsames entdecken – bevor die Gefühle tot sind

Ehe bedeutet Arbeit. Das klingt seltsam. Vor allem, wenn man denkt, die Liebe sei der unverbrüchliche Kitt der Beziehung. Aber die Liebe muss lebendig und wach gehalten werden. Zwei unterschiedliche Menschen schließen sich zusammen. Das Gemeinsame muss gefunden, erarbeitet werden. Das geht nicht von selbst. Das bedeutet Einsatz – von beiden Seiten.

Fokus auf Arbeit und Kinder

Da sitzt ein Ehepaar in unserem Gesprächszimmer. Sie ist klein und grazil, er ein Schrank von Mann. Sie sind seit 15 Jahren verheiratet und haben drei Kinder. Das Älteste ist 15 Jahre alt. Zu Beginn ihrer Ehe hatten sie keine Zeit, sich aufeinander einzustellen, das Gemeinsame in ihrer Beziehung zu entdecken. Sie war mit den Kindern beschäftigt, wollte eine gute Mutter sein. Er warf sich in die Arbeit, wollte möglichst viel verdienen, damit sich die Familie auch etwas leisten konnte. „Mit diesen Händen habe ich alles erarbeitet“, erklärt er mir stolz und zeigt mir zwei wirklich beachtliche Pranken.

Wenn er abends heimkam, war er zu müde, hatte er keine Kapazitäten mehr für seine Frau. Das kleine Quäntchen an Energie, das noch übrig war, widmete er seinen Kindern. Sie waren sein Ein und Alles. Waren sie im Bett, saß er noch vor dem Fernseher, wollte sich nur noch entspannen. Die Frau ging bald ins Bett, sie war müde von einem aufreibenden Tag voller anstrengender Kleinigkeiten. Sie musste ja früh aufstehen, um das Frühstück für die Kinder zu machen. So hatte man abends keine Zeit, Gemeinsames zu entdecken.

Liebe verschwindet

Es gab keine großen Auseinandersetzungen. Die Liebe verabschiedete sich eher still und klammheimlich. Irgendwann war sie fort. Um den Kindern die Familie zu erhalten, wollen sich die beiden nicht scheiden lassen: „Wir wollen als gute Freunde in einer Wohnung beieinanderbleiben, um den Kindern eine Heimat zu bieten!“

Ob sie es doch noch einmal miteinander versuchen wollen, ob sich die Gefühle wieder entfachen lassen, frage ich vorsichtig nach. „Nein, nein!“, wehrt die Frau entschieden ab. Das kann sie sich nicht vorstellen. Und ich habe den Eindruck: Sie will nicht mehr. Sie hat ihr Nein gesagt und möchte nun auch daran festhalten. Sie fürchtet, dass alles so bleiben würde, wie es war, wenn sie jetzt nachgibt.

„Ich tue alles, um meine Ehe zu erhalten“, sagt der Mann mit Tränen in den Augen – und er fügt hinzu: „… um der Kinder willen.“ Welche Chance hat er tatsächlich, seine Frau wiederzugewinnen? Ich frage die Frau, sie schüttelt den Kopf und sagt: „Alles, was er jetzt tut, tut er ja nur für sich – nicht für mich.“ Der Strauß Rosen kommt als Bestechung an. Dass er nun zum Staubsauger greift und die Wohnung reinigt, als Notmaßnahme. Er hatte sogar die Wohnung neu gestrichen: „Darum bitte ich dich bereits seit zwei Jahren. Jetzt machst du es, wo du merkst, dass es ernst wird“, sagt die Frau bitter. Sie glaubt ihm nicht mehr. Vor allem hat sie keine Hoffnung, dass sich etwas grundsätzlich ändern wird. Was soll der Mann hier noch tun?

Der Zeitpunkt ist entscheidend

Die Scheidung scheint unausweichlich zu sein. Tatsächlich gibt es einen Zeitpunkt, ab dem sich das Gemeinsame nicht mehr aktivieren lässt und sich die erloschenen Gefühle nicht mehr beleben lassen. Umso wichtiger ist es, rechtzeitig das Gemeinsame zu erarbeiten, nicht alles der Liebe zu überlassen und zu hoffen, dass sie schon halten wird, sondern miteinander das zu entdecken, was beide Ehepartner zusammenschließt: Regelmäßige Zeiten zu zweit, das gute offene Gespräch von Herz zu Herz, die gemeinsamen Unternehmungen, Abenteuer, die verbinden, und immer wieder die gemeinsame Frage: Was tut uns gut, was hilft uns, beieinander zu bleiben? Die Kinder danken es – auch wenn sie dann auch mal auf ihre Eltern verzichten müssen oder es sich nicht alles um sie dreht.

Die Arbeit an der Gemeinsamkeit kann so aussehen:

  • Mindestens ein Abend in der Woche ist Ehezeit. Dieser Abend dient dem Gespräch und der traulichen Begegnung.
  • Immer wieder werden Events eingeplant: essen gehen, ein Kinobesuch, Konzert oder Theaterstück. Über das Erlebnis wird geredet – das verbindet.
  • Regelmäßig gehört ein Teil des Wochenendes dem Ehepaar für eine gemeinsame Unternehmung oder ein besonderes Abenteuer.
  • Immer wieder wird eine gemeinsame Auszeit eingeplant: ein gemeinsames Wochenende, eine Kurzreise oder eine einsame Zeit zu zweit in der eigenen Wohnung, während die Kinder bei den Großeltern (oder bei Freunden) sind.
  • Immer wieder gilt es Kreativität zu entwickeln: Was tut dir gut? Was tut uns gut? Was verbindet uns? Was hält die Gefühle füreinander wach? Wie stärken wir das Gemeinsame in unserer Beziehung?
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Christian Pech
Christian Pech
2 Jahre zuvor

Sehr gut beschrieben!
Man kann sich entfremden und auseinanderleben…
Besonders schwierig ist das in Corona Zeiten, wo alle Angebote außerhaus nicht mehr realisierbar sind…Das kann eine Beziehung treffen.

Dieter Wiedemann
Dieter Wiedemann
2 Jahre zuvor

Gesunder Duoismus (gibt’s das Wort?) der Eltern, also „Wir 2 sind wichtig“ ist ein wichtiger Bestandteil jeder Familie!
Kinder, die gelegentlich auf ihre Eltern verzichten, damit diese „Zeit zu Zweit“ haben, haben mehr von ihren Eltern und lernen gleichzeitig viel für ihr Leben.