In welchem Zusammehang stehen Kampfsport und Aggression?
Kämpfernatur – Im Hintergrund ertönt der gleichnamige Einlauf-Song. Es ist der Abend des 11. Juli 2015, 19.45 Uhr: Mit entschlossener Miene betritt der in der Ukraine geborene Alexander „Sascha“ Dimitrenko den Ring in der GETEC-Arena in Magdeburg. Die Beschreibung passt auf den Zwei-Meter-Hühnen. Nach nicht einmal drei Minuten ist der Kampf vorbei. Dimitrenko trifft seinen Gegner Zoltán Csala mit einer heftigen Rechten am Kopf. Der bleibt liegen: Sieg durch K. O. in der zweiten Runde – und eine Rückkehr auf die große Bühne des Boxsports?
Comeback
Zugegeben, der Ungar Csala fällt, so tapfer er sich auch präsentiert hat, ganz klar in die Kategorie Aufbaugegner. Für Sascha, so Dimitrenkos Kampfname, bedeutet die Begegnung trotzdem mehr als einen einfachen Vorkampf zum WBO-Weltmeisterschaftsmatch „Chagaev gegen Pianeta“. Denn sie erzählt eine Geschichte wie aus den Rocky-Filmen: Es ist erst sein zweiter Kampf nach über zwei Jahren Ringabwesenheit – das unwahrscheinliche Comeback eines schon abgeschriebenen Supertalents, von dem sein Mentor, der legendäre Boxtrainer Fritz Sdunek, einmal sagte: „Wenn überhaupt einer die Nachfolge der Klitschkos antreten kann, dann Alexander Dimitrenko.“
Sich durchbeißen
Doch dieser Weg war für den gebürtigen Ukrainer, der seit 2010 deutscher Staatsbürger ist, gepflastert mit Tiefschlägen und geprägt vom Sich-Durchbeißen. Er wächst in einfachen Verhältnissen auf der Krim auf, gerät sogar in Kontakt mit Straßengangs. Sein Vater lehrt Sascha das Boxen, verstirbt jedoch, als er gerade zehn Jahre alt ist.
Einige Jahre später verlässt er sein Zuhause, um eine harte Ausbildung in einem Sportinternat zu beginnen. Es lohnt sich: 2001 nimmt der Boxstall Universum das Talent unter Vertag. Dimitrenko kommt nach Hamburg, wo er sich ohne Deutschkenntnisse durchboxen muss. Doch er bleibt dran und wird belohnt: 2005 feiert er seinen ersten großen Erfolg mit dem Gewinn des IBF-Jugendweltmeistertitels.
Steile Karriere – und Absturz
Zunächst zeichnet sich eine steile Karriere ab, die 2010 im Gewinn des Europameistertitels im Schwergewicht gipfelt. Zweimal verteidigt Sascha seinen EM-Gürtel erfolgreich, eine dritte Pflichtverteidigung kann er aufgrund einer Ellbogen-OP nicht antreten. Der Titel wird ihm aberkannt. 2012 unterliegt er beim Versuch, ihn zurückzugewinnen, dem Bulgaren Kubrat Pulev.
Eine Leidenszeit beginnt: Sascha ist lange ohne festen Trainer und von Verletzungen geplagt; er droht in der Versenkung zu verschwinden. Im Mai 2014 reißt er sich die Achillessehne, die Zeichen stehen auf Karriere-Ende. Gegen Ende des Jahres hat er dann auch noch den Tod seines langjährigen Mentors Fritz Sdunek zu verkraften. Allerdings war Sdunek nicht abgetreten, ohne Dimitrenko vorher mit Ibo Günes bekannt zu machen. Der wird sein neuer Coach, hilft ihm durch die lange Reha. Gemeinsam arbeiten sie auf ein Comeback hin – ein Ziel, das nun bald erreicht scheint, entgegen jeder Erwartung der Boxwelt.
Glaube, der stark macht
Alexander Dimitrenko ist jedoch kein Typ, der viel darauf gibt, was die Welt sagt. Eine Einstellung, die ihm nützlich war, genau wie seine schlichte Weigerung, aufzugeben. Der unbändige Wille, immer weiterzumachen, speist sich aus seinem Glauben an Jesus. Zu dem steht Sascha auch im Ring: Gern trägt er etwa die Worte God bless auf seiner Boxhose. „Der Glaube macht mich stark“, sagt er, und liefert im Angesicht von Herausforderungen immer wieder eindrucksvolle Beweise dafür.
Stark zu sein, das will Dimitrenko weitergeben. Mit seinem gemeinnützigen Verein Box dich durch e.V. engagiert er sich für soziale Projekte in der Kinder- und Jugendarbeit. Gut möglich, dass die Kids in Zukunft wieder mehr Kämpfe ihres Mentors sehen. Der Kommentator an diesem Abend in Magdeburg jedenfalls ist optimistisch, erwartet „noch einiges Erfreuliches“ von ihm.
Und er selbst? Nach dem Kampf dazu befragt, gibt er ein neues altes Ziel aus: Weltmeister. Einfach wird das nicht – doch das hat Sascha ja noch nie aufgehalten.
„Das Leben ist viel härter als Boxen“
Interview mit Alexander „Sascha“ Dimitrenko (AD)
AO: Herr Dimitrenko, wie stehen Sie als Boxer zum Thema „männliche Aggression“?
AD: Aggression ist zuerst einmal neutral. Man kann nicht zwischen guter und schlechter Aggression unterscheiden. Wenn man zum Beispiel auf der Straße jemanden verteidigt, muss man Aggression zeigen, damit der Angreifer zur Ruhe kommt. Aber es geht nicht darum, ihn zu verletzen oder zu erniedrigen. Vielmehr sollte man lernen, sich zu beherrschen. Ich kann zum Beispiel auch ausrasten, das ist ganz normal – ich bin nur ein Mensch. Manche Menschen haben allerdings nicht gelernt oder wollen nicht lernen, ihre Aggression zu kontrollieren.
Oft ist das etwa bei Teenagern so. Sie wissen nicht, wohin mit ihrer Kraft und ihrer Wut. Vielleicht bekommen sie in der Familie nicht viel Liebe, Aufmerksamkeit und Anerkennung – und denken deshalb, sie müssten sich beweisen. Das ist ein Problem, nicht die Aggression an sich.
Außerdem steht in der Bibel ja auch, dass man die Menschen so behandeln soll, wie man selbst behandelt werden will. Wenn ich zum Beispiel auf der Straße beleidigt werde, entschuldige ich mich lieber einmal mehr, als mich mit dem anderen anzulegen. Vielleicht sucht er nach Streit – aber ich lächle zurück. Dann lässt seine Wut nach, und die Situation eskaliert nicht. Das habe ich sehr oft erlebt. Ein Lächeln kann dunkle Wolken vertreiben. Das ist meine Regel. Vielleicht werden mich manche für blöd halten, aber so lebe ich.
AO: Und welche Rolle spielt Aggression konkret im Boxsport?
AD: Aggression ist ein Teil dieses Sports, aber deswegen steht er nicht im Gegensatz zum Glauben, obwohl er viele Menschen abschreckt. Sie sagen: „Wie kannst du andere schlagen? Du gehst doch in die Kirche!“. Dabei vergessen sie aber, dass ich meinem Gegner nichts Schlechtes wünsche. Ich hasse ihn nicht, will ihm keinen Schaden zufügen. Ab dem Gong geht es nur um Sportliches; wer besser vorbereitet ist und den besseren Plan hat, gewinnt. Nach dem Kampf gibt man einander die Hand, umarmt einander und wünscht dem anderen alles Gute.
Kampfsportler sind sogar oft sehr ausgeglichen. Sie lassen ihre Wut im Training und gehen danach ausgepowert nach Hause. Sie suchen keine Auseinandersetzungen und müssen niemandem beweisen, wie stark sie sind, weil sie wissen, wie sie sich in schwierigen Situationen zu verhalten haben. Sie gehen Streit aus dem Weg und lassen sich nicht provozieren.
AO: Also hilft der Kampfsport dabei, gegen Aggression anzugehen und sie zu kontrollieren?
AD: Genau. Diese Einstellung hatte ich nicht immer, in meinen jungen Jahren war ich ganz anders drauf. Aber je erwachsener man wird, desto klüger wird man.
Das Boxen hat mein Leben geprägt. Ich bin schon lange im Geschäft – im Oktober ist es genau 20 Jahre her, dass ich angefangen habe. In dieser Zeit habe ich gelernt, was es heißt, diszipliniert zu sein und dass man sich Ziele setzen muss, wenn man erfolgreich sein möchte. Außerdem brauchst du im Ring immer einen Plan B und oft auch einen Plan C. Man lernt, schnelle Entscheidungen zu treffen und sich sofort umzustellen.
Dann gibt es auch solche Kämpfe, in denen das nicht gelingt und man zu Boden geht. Da muss man stark genug sein, um aufzustehen und weiterzukämpfen. Das versuche ich auch den Jugendlichen zu vermitteln. Ich ziehe eine Parallele und sage: „Schaut, im Ring kann es hart sein. Und im Leben wird es auch nicht immer einfach – aber deswegen muss man nicht alles fallen lassen, sondern sich im wahrsten Sinne des Wortes durchboxen.“ Aggression spielt dabei weniger eine Rolle, als aufzustehen und weiterzukämpfen.
Dazu hat nicht jeder Kraft und Lust. Besonders im Schwergewicht fliegen ja ganz schöne Granaten, genau wie im Leben. Aber wenn du es tust, beweist du Charakterstärke – egal, ob du den Kampf gewinnst oder verlierst. Und dann wird es dir leichter fallen, klare Ziele zu setzen und einem guten Weg im Leben zu folgen. Deine Aggression musst du dazu in die richtige Richtung lenken. Du musst sie schon ausüben – nur eben auf eine gute Weise. Dazu gehört, sich zu beherrschen. Das ist nicht einfach, aber es fängt mit einer Entscheidung an. Wenn du die ein- bis zweimal getroffen hast, fällt sie leichter. Ich spreche aus Erfahrung.
Es steht in unserer Macht, wie wir handeln. So wie wir entweder Ja oder Nein zu Jesus und zum Glauben sagen können, lässt Gott uns auch die Freiheit, uns für gute oder schlechte Taten zu entscheiden. Er zwingt uns nicht, nach seinen Gesetzen zu leben.
Aber das Leben ist noch viel härter als Boxen. Im Ring siehst du, wer dein Gegner ist und weißt: Nach dem Gong wird er versuchen, dich auszuknocken. Im Leben kann es sein, dass du einen Menschen anschaust und denkst, er wäre dein Freund – und wenn du dich umdrehst, haut er zu! Das ist wirklich hart.
Vielen Dank für diesen Einblick mfg Christian Horstmann, Christl Schriften Vermittlung …gerne Hefte zum weitergeben…
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