Ein Mann – ein Wort

Tyler Nix auf unsplash.com

Ein Mann – ein Wort

„Ein Mann – ein Wort“? Die Überschrift verführt zur „frauenunfreundlichen Fortsetzung“ dieses „männlichen Slogans“: Vermeintliche Männer-Kenner wurden bisher nicht müde, wissenschaftliche Studien zu bemühen, die belegen (sollen), dass Frauen täglich wesentlich mehr Wörter benutzen als Männer.

Die Rede ist von 7.000 zu 2.000, manchmal auch von 30.000 zu 12.000. Allein diese Schwankungsbreite in den (klischeehaften) Angaben machte Matthias Mehl von der University of Arizona in Tucson und seine Kollegen misstrauisch:

Das Stereotyp der weiblichen Redseligkeit sei in der westlichen Volkskunde tief verwurzelt und oft sogar als ein wissenschaftlicher Fakt angesehen, schreiben die Forscher. „In Wirklichkeit hat keine Studie die natürlichen Gespräche von großen Menschengruppen für eine längere Zeit aufgenommen.“ Mehl und sein Team haben zwischen 1998 und 2004 fast 400 Studenten aus den USA und Mexiko untersucht – mit einem selbst entwickelten Spezialrekorder. Frauen kamen im Schnitt auf 16.215 Wörter, Männer auf 15.669. Zwar sind die Frauen auch hier Sprech-Sieger, doch diese Differenz sei nur marginal und statistisch nicht signifikant, schreiben die Forscher. „Was ist ein 500-Wörter-Unterschied im Vergleich zu einem 45.000-Wörter-Unterschied zwischen den am meisten und am wenigsten gesprächigen Personen?“, fragt Mehl. Die männliche Top-Quasselstrippe sprach 47.000 Wörter am Tag, der schweigsamste Proband kam auf wenig mehr als 500 Stück. Demnach gebe es tatsächlich gewaltige Unterschiede in der „verbalen Aktivität“ einzelner Menschen, so die Forscher – aber die hätten nichts mit dem Geschlecht zu tun.

Wenn die Überschrift also keine Frage der Masse (von Wörtern) ist, so doch hoffentlich eine Aussage zur Klasse? Doch Achtung: Der Grad ist schmal zur latenten (überheblichen?) Abwertung weiblicher Wortmeldungen. Und genau darum geht es nicht, sondern vielmehr um die Frage: Was ist das Wort eines Mannes wert?

Ehrenwort: Das Wort gilt

Eine Reportage über Kaufleute in der Hamburger Speicherstadt beeindruckte mich: Alte Handelsmänner erzählten, dass sie bis heute große Geschäfte (z. B. Kaffeekauf aus Übersee) ohne schriftlichen Vertrag und nur per Handschlag abschließen! Die Erfahrungen damit wären durchweg gut. Vergleichbares sei durchaus auch in Teilen der Immobilienbranche zu finden, gerade wenn es um Summen jenseits der Millionengrenze ginge …

Da staunt Mann nicht schlecht, dass in Zeiten ausgefeilter Vertragskonstruktionen gute Geschäfte immer noch so einfach gemacht werden können. Kein Anwalt, Kein Papier – nur die durch Handschlag besiegelte Absprache zwischen den Parteien gilt. Ein Mann – ein Wort eben. Dahinter steckt Vertrauenswürdigkeit: Der Andere ist verlässlich, beide Geschäftspartner sind dabei nicht von allen guten Geistern verlassen. Übrigens, ich erinnere mich: Nie wurde so oft von – wieder zu gewinnendem – Vertrauen gesprochen wie auf dem Höhepunkt der Euro- bzw. Bankenkrise. „Ausgerechnet da?“, fragt Mann sich: „Wo soll das wohl herkommen?“

Vertrauen ist die Währung, die Geschäfte überhaupt möglich macht. Es ist die Grundlage und der Ausdruck guter Beziehungen, auch oder gerade der geschäftlichen. Denn die lassen sich kaum vertraglich erzwingen, wie „geplatzte Deals“ belegen. Je enger (intimer) Beziehungen werden, umso abhängiger sind sie von einer guten Vertrauensbasis. Wehe, wer das – vielleicht gar vorab – per „Treue-Detektiv“ kontrollieren will!

(M)Ein Wort ist sehr viel wert. Das kann nur schätzen, wer dem großes Vertrauen entgegenbringt, entgegenbringen kann.

Wortschwall: Weniger ist mehr

„Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?“ Der flotte Spruch wird nicht nur als humorvolle Replik auf eigenes Vergessen gemacht. Vielmehr scheint es heute zum (gar nicht so) guten Ton zu gehören, Absprachen nach Beliebigkeit zu vergessen, umzudeuten oder einfach zu ignorieren: „Heute so – morgen so (anders)“. In Politiker-Statements folgt bei ausweichenden Antworten auf konkrete Nachfragen die Formulierung: „Ich gehe davon aus, dass …“ – Eine nichtssagende Floskel, man kann und will sich nicht festlegen (lassen). Die Person bleibt hinter der Deckung unverbindlicher Wörter unangreifbar.

Die Bibel ist an diesem Punkt unerbittlich, vermutlich ist allgemeines Geschwafel und unverbindliche Quasselei zeitlos, gewissermaßen eine „allgegenwärtige“ Gefahr menschlicher Kommunikation. Deshalb sagt Jesus: „Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein; alles andere stammt vom Bösen.“ (Mt 5,37) Noch deutlicher ist der Jakobusbrief: „Euer Ja soll ein Ja sein und euer Nein ein Nein, damit ihr nicht dem Gericht verfallt.“ (Jak 5,12b)

Damit redet die Bibel nicht der Einsilbigkeit das Wort, sondern mahnt Eindeutigkeit der Aussage an. Der Hinweis auf das – unnötige, aber damals weitverbreitete – Schwören „beim Himmel“ legt den Finger in die Wunde. Wenn nämlich zum Standard wird, dass alles durch weitschweifige Beteuerungen verstärkt und erst dadurch vertrauenswürdig werden muss, dann stimmt etwas nicht mehr mit der Verlässlichkeit. Langer Rede kurzer Sinn – Sprüche 10,19 bringt das warnend auf den Punkt: „Wo viel Worte sind, da geht’s ohne Sünde nicht ab; wer aber seine Lippen im Zaum hält, ist klug.“ – Ein erfahrener geistlicher Mann drückte es vor einem großen kirchlichen Gremium so aus: „Willst du etwas gelten, mach‘ dich selten.“ Sicherlich nicht sonderlich poetisch, aber gut zu merken.

Ich schreibe das nicht ohne eine gewisse innere Unruhe, denn ich bin „Verkündiger“, verdiene also meine Brötchen mit vielen Wörtern um „das Wort“. Außerdem flachse ich gern, aber ein mehr oder weniger „loses Maul“ baut nicht nur auf!

Wortlos: Ein Mann, kein Wort

Einer der interessantesten Männer der Bibel ist Josef, „Stiefvater des Kuckuckskindes Jesus“. (Rein weltlich gesehen ist er genau das.) Die Geschichte ist jenseits frommer Verklärung heikel in vielerlei Hinsicht. Deshalb lohnt sich ein un-weihnachtlicher Blick auf den Mann, der viel träumt und kein (!) Wort sagt (in Mt 1+2). Damit ist er das Extrembeispiel für das „Schweigen der Männer“. Seine Träume haben es in sich. Sie bringen den stillen Josef auf Trab: Kein Murren, keine Anweisung an die junge Familie – Josef packt und geht, wird Migrant im Nachbarland Ägypten. Er rettet den Retter als Kind. Wortlos. Ein Mann – kein Wort! Er hört aufs Wort, befolgt es. Wer das Notwendige tun, das Richtige sagen will, muss (vorher) Gottes Worte vernehmen (können).

Manche Situationen verlangen Männer, die ohne (viele) Worte das Richtige „machen“. Lass Taten sprechen – wie Josef, der Handwerker von Gottes Gnaden!

Wortbruch: Kein Schlusswort

Nach der Theorie die mitunter deprimierende Praxis: Der männerbewegte Mann mit besten Absichten sagt einen Termin verbindlich zu. Und ehe er ihn antritt, fragt der Veranstalter, wo er denn geblieben wäre? Peinliche Panne, Termin falsch eingetragen und nicht gemerkt. Zusage nicht gehalten – Wort gebrochen! Unabhängig von der Ursache ist das Ergebnis entscheidend. Ein Mann – ein … Wie war das doch gleich?

Es gehört zu den Ärgernissen des Lebens, dass trotz bester Absichten, edler moralischer Motive und vorsätzlichem Vertrauen Fehler passieren, Termine platzen, also irgendwie nicht Wort gehalten wurde. Die Unvollkommenheit dieser Welt, da vor allem meine eigene, nagen an meiner Glaubwürdigkeit. Das ist aber etwas ganz anderes als eine oberflächliche Belanglosigkeit, mit der ich die Dinge nur „auf die leichte Schulter nehme“. Die schmerzliche Erkenntnis: Ich bin fehlbar – leider. Wer glaubt mir dann meine nächste Zusage?

Es ist eine unsichtbar schleichende Gefahr, Aussagen nicht sorgfältig zur treffen, Wörter zu benutzen, den Sinn nicht genügend zu würdigen. Mann kann eben auch aneinander vorbeireden, nicht nur auf unterschiedlichen Ebenen der Kommunikation.

Wortwechsel: Das letzte Wort

Wie komme ich aus der Nummer wieder raus? Nicht selten ist eine Wiederherstellung des zerstörten Zustandes nicht mehr möglich. Die Panne steht zwischen denen, die eine Absprache getroffen haben. So führt kein Weg am Eingeständnis des eigenen Fehlverhaltens vorbei. Und der beginnt mit der Bitte um Verzeihung. Das ist sozusagen ein „Reset“ der Beziehung: Wir probieren es wieder. Mann merkt, dem Gegenüber ist es ernst. Da bin ich als „Ver-Sager“ ganz auf mein enttäuschtes Gegenüber angewiesen. Deshalb ist der Satz „Ich verzeihe dir“ von so grundsätzlicher Bedeutung für die Wiederherstellung beschädigter Beziehungen, verloren gegangener Verlässlichkeit. Genauso funktioniert Vergebung. Und zwar aufs Wort. Mit Ewigkeitswirkung. Wer das Wort der Vergebung (Mk 2,5) selbst persönlich gehört hat, kann es auch anderen stellvertretend zusprechen. Es ist das Machtwort (Mt 18,18)!

Schlusswort: Auf (d)ein Wort

Männer treffen sich gern „auf ein Bier“ (auch wenn‘s mal nicht bei einem bleibt). Es bedeutet ein großes Lob, wenn es über jemanden heißt: „Auf sein Wort ist Verlass.“ Nichts anderes bedeutet dieser Slogan, der oft zur Floskel verkommen ist: „Ein Mann – ein Wort“.

Lassen wir Männer ihn nicht (wieder) zur abgedroschenen Phrase mit zweifelhafter halblauter Fortsetzung werden. „Ein Mann – ein Wort“ ist Programm für vertrauenswürdige Männer(arbeit).

Genug der Worte – auf seiner CD „Mut zum Sein“ singt Martin Pepper im Titel „Männerseele“:
„Reden ist Silber und Schweigen ist Gold, der Mann redet nicht viel drum herum. Verkauf etwas Gold, werd‘ ein silberner Held, ein wenig mehr Offenheit bringt dich nicht um.“

Gesagt – getan. Das ist mein letztes Wort.

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