Sohn sein heißt oft Versöhnung

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Sohn sein heißt oft Versöhnung

Männer haben eines gemeinsam – jeder ist ein Sohn. Keiner von ihnen ist vom Himmel gefallen – jeder wurde von einem anderen Mann, seinem Vater, gezeugt. Und keiner entwickelt Gott gegenüber automatisch Sohngefühle, denn er hat kein Muster für so eine Vater-Sohn-Beziehung mit Gott, wie Jesus sie hatte.

Männlichkeit zurückholen

Deshalb tun sich Männer vermehrt zusammen, um ihre volle Männlichkeit zurückzuholen. Allmählich können sie zugeben, dass ihre Väter sie oft hungrig zurückgelassen haben: „Ich habe diesen Mann ja eigentlich nie gekannt. Ständig musste ich zwischen den Zeilen lesen, was er von mir erwartete. Er hat mich nie in sein Herz blicken lassen.“ Das tut lebenslang weh und macht erfülltes männliches Christsein fast unmöglich, denn Männlichkeit hängt mit erlebter Väterlichkeit direkt zusammen.

Man spricht in diesem Zusammenhang oft von der Vaterwunde. Damit meint man diesen diffusen Schmerz, dem Vater nahe sein zu wollen und doch nie Bestätigung von ihm erfahren zu haben. Das Eingeständnis der Vaterwunde ist der erste Schritt eines Mannes, an seine Gefühle heranzukommen und Erlösung im Herzen (nicht nur im Kopf) zu finden. Denn viele verkopfte Männer denken stolz, sie könnten einfach „umschalten“ und plötzlich ein guter Sohn Gottes sein, trotz ihrer schlechten Vaterbeziehung.

Dass dieser Vätermangel eine verheerende Verwüstung der Männlichkeit in uns hinterlassen hat, nehmen wir Männer erst langsam wahr. In meinen nun 20 christlichen Männergruppen stelle ich fest, dass dieses Thema, auf das sich kaum ein Mann freiwillig einlässt, den Schlüssel zu seiner Gefühlswelt darstellt. Wie will er Vaterfiguren und Autoritäten lieben, wenn er von seinem eigenen Vater nie Liebe erfahren und gespürt hat? 80 % der Männer in Deutschland sind davon betroffen – 20 % geben es zu, der Rest verdrängt. Ich denke, das gilt auch für fromme Männer. Seit Jahren mache ich erfolgreich große Vater-Camps – die richtig Frommen kommen da nicht; sie meinen, sie seien schon recht gute Väter, so ein Camp sei nur „etwas für die Heiden.“

Unnahbare Väter

Die Aufgabe lautet also, den Vater-Komplex zu lösen – und das wiederum mit einem Vater, nämlich Gott, den die Bibel treffend auch „Vater der Waisen“ (Ps 68,6) nennt. Gibt man(n) seinen misslichen Gefühlen eine Adresse, sind sie schneller weg als sie kamen. Es lohnt sich schon allein deshalb, ein Sohn Gottes zu werden!

Sich an den leiblichen Vater anzunähern, scheint aber zunächst unausweichlich, um mit dem himmlischen eine gute Beziehung aufzubauen. Doch das braucht Mut. Reden Männer in der Männergruppe von „Papa“, so wühlt das einen Berg von Grundgefühlen auf: Man konnte mit diesem Mann oft nichts anfangen. Trotzdem geht der erste Schritt fast immer von den Söhnen aus, kaum ein Vater wagt ihn. Das ist eine harte Realität, aber nicht umsonst nennt man diese stotternden Annäherungsversuche Versöhnung und nicht Verväterung. Vielleicht können viele Väter nichts anderes tun als der Vater in der Bibel (Lukas 15,21), der seinen Sohn verloren hatte: Warten, bis dieser endlich nach Hause kommt.

Aber das ist nicht so leicht. Die meisten Väter sind völlig unerreichbar für ihre Söhne geworden, manche sind schon tot, an anderen prallen Annäherungsversuche ab wie ein Gummiball.

Gott-Vater will echte Söhne. Was bringt es, Gott sonntags mit großen Worten zu verherrlichen und am Montag wieder durch und durch ein „Sohn der Welt“ zu sein? Es scheint, dass wir das elementarste Gefühl dafür verloren haben, was es heißt, ein Sohn zu sein. Wir schaffen es nicht, souverän als Söhne des himmlischen Vaters durch die Welt zu gehen, weil wir immer abkürzen wollen. Wir sind zu „Feierabendsöhnen“ geworden.

Der kleine Junge in uns

Ein Sohn, der so eine mangelhafte Vaterbeziehung erlebt hat, träumt von einem phantasierten allmächtigen Vater, der ihm alle Last abnimmt, ihn auf Händen trägt und ihn vor jeder Mücke beschützt. Er nimmt nichts selbst in die Hand. Sein tiefliegender Wunsch nach einem perfekten Vater verhindert oft, dass er als Sohn auf eigenen Beinen stehen und erwachsen werden will.

Der kleine Junge in uns bettelt: „Bitte, Papa, gib mir etwas zu essen!“ Der erwachsene Sohn steht auf und holt sich, was er braucht. Der unreife Christ wartet, bis „etwas vom Himmel fällt“, der reife bringt das Reich seines Vaters voran. Viele Christen verhalten sich vor Gott-Vater wie kleine Kinder. Das beeinträchtigt auch die anderen Beziehungen, etwa zur Ehefrau, von der der Mann nun emotionale Versorgung erwartet.

So beginnen auch fast alle Männer ab einem gewissen Zeitpunkt nach ihrem Vater zu suchen, in der Hoffnung, sich dadurch selbst kennenzulernen: „Wo komme ich her, wer bin ich, wozu bin ich gut?“ Männer sind lebenslang auf Identitätssuche. Ihr Leben ist eine einzige Suche nach dem verlorenen Vater: Anerkennung vom Chef suchen, durch Leistung Akzeptanz erhoffen, Ersatzväter suchen – und dann enttäuscht werden, weil der Pseudovater nicht das geben kann, was sich das wunde Herz des Jungen wünscht.

Verlust an Männlichkeit

Der unfreie und unreife Mann hat zwei Vater-Bilder in seiner Seele: Je schlechter der leibliche Vater in der Erinnerung des Sohnes ist, umso paradiesischer muss Gott-Vater unbedingt sein. Er darf mir nur Gutes tun, mich niemals hart anfassen, muss mir alle Wünsche erfüllen. Das Empfinden dem leiblichen Vater gegenüber ist dann durchsetzt von Ohnmacht, Hass und Verzagtheit, und man hat einen immensen Abgrenzungswunsch von allem, was sich Vater nennt. Zugleich empfindet man seine Beziehung zu Gott-Vater als warm, liebevoll, mitunter sogar körperlich nah und entwickelt einen immensen Verschmelzungswunsch mit ihm. Solch ein Mann springt innerlich hin und her, hat beträchtliche Gefühlsverwirrungen, stresst seine Seele und verliert an Männlichkeit durch sein Christsein: Er wird weich, zahm, und unerotisch, denn sein Vaterbild beinhaltet eigentlich den Wunsch nach einer mütterlichen Form der Liebe.

Die große Vater-Sohn-Aussprache

Es lässt sich nicht gut leben mit zwei so unterschiedlichen Vätern; den einen fürchte und hasse ich und versuche, ihn zu meiden, den anderen liebe und begehre ich und will mit ihm zusammensein. Das hält kein Mann ein Leben lang aus – wir müssen uns versöhnen. Aber wie?

In meinen Männergruppen versuchen wir, die große Aussprache mit dem Vater hinzubekommen. Vaterbriefe werden geschrieben, der erste wird oft nicht abgeschickt, man muss üben, mit „dem Alten“ fair umzugehen. Die Heilung des verletzten Vaterbildes kann sich meist nicht im direkten Dialog ereignen, wie sehr wir uns auch wünschen, dass uns dieser ältere Mann in den Arm nimmt und sagt: „Du bist ein guter Sohn.“ Der emotionale Tank der meisten Väter reicht dazu schlichtweg nicht aus, und so endet die erste Aussprache für den Sohn meist enttäuschend.

„Lieber Sohn, werde ja nicht wie dein Vater!“

Häufiges Problem dabei ist, dass ein Mann seinen Vater durch die negative Brille der Mutter sieht. Er hat ihn ja nie kennengelernt. Der Vater war real oft gar nicht so schlecht, wie der Sohn ihn in seiner Erinnerung abgespeichert hat. Vielleicht wurde ihm von der Mutter gesagt: „Werde ja nicht wie dein Vater!“ Das ist aber für den jungen Sohn ein K.O.-Kriterium, denn es bedeutet für ihn: „Werde kein Mann!“ Der Vater ist ja der erste Mann im Leben des Sohnes und somit das Urbild von allem Männlichen. Soll er also weiblich werden?

Der Sohn fühlt sich lebenslang vom Vater allein gelassen mit der Mutter, von ihm verraten. Es wird ihm schwer fallen, sich von seiner „Übermutter“ loszulösen.

„Ich bin ein guter Sohn!“

Jeder Sohn strebt die Versöhnung und Ebenbürtigkeit mit dem Vater an – sowohl mit dem leiblichen, als auch mit dem himmlischen Papa. Er sucht das psychologisch wertvolle Versöhnungsgefühl: „Ich habe es geschafft, ihm ein guter Sohn zu sein.“ Er will dem Vater instinktiv etwas zurückgeben und ihm seinen Dank erweisen. Der Sohn kann den Vater von seiner Schuld befreien und ihm vergeben.

Für den „Vatersuchenden“ heißt das: Er muss spüren, dass er seinem Vater ähnlich ist, aber auch wissen, dass er frei ist, anders als dieser zu sein. Dabei gilt es, zu vergeben, denn Hass bedeutet, wie Psychologen sagen, die stärkste Bindung an einen Menschen. So gebunden wird er seinen Vater nicht loslassen und sich neuem zuwenden können. Wer das hingegen schafft, der kann auch mit dem himmlischen Vater so eine Beziehung erreichen, wie Jesus sie hatte.

Formeln der Versöhnung

Da dieser direkte Weg der Auseinandersetzung meist nicht funktioniert, braucht es andere Wege für die Männer, ihre Vaterwunden zu versorgen. In meinen christlichen Männergruppen praktizieren wir darum drei Formeln der Versöhnung. Sie können einen hilfreichen Leitfaden darstellen:

Formel Nr. 1

Zeitweise Trennung von allem Weiblichen
+ Unabhängigkeit von „der Frau“ entwickeln
+ Sich mit mehr Männern und Männlichem umgeben
= Männlichkeitszuwachs und wieder erotisch werden für die Frau, die ja angesprochen wird von Männlichkeit

Genau dies praktizieren die Urvölker, wo in einem definierten Übergang in wenigen Wochen aus Jungen Männer werden. Wir versuchen dies mit der Konfirmation hinzubekommen.

Keine Frau mag es, wenn sie den Mann beschützen muss und er an ihrem Rockzipfel hängt wie ein kleines Kind und Angst hat, er verhungert, wenn er keinen Sex mehr bekommt. Jede Frau wünscht sich einen Mann zum Anlehnen, nicht ein weiteres bedürftiges Kind.

Formel Nr. 2

Die Schuld des Vaters sehen
+ Herausschälen des Guten am Vater
+ ein sanfteres Vaterbild zeichnen
= ein emotionales Nachwachsen des
Männlichkeitsempfindens erleben

Die Schuld des Vaters muss erst mal messerscharf festgestellt werden; wer oberflächlich vergibt, betrügt sich selbst. Erst danach können auch die guten Seiten des Vaters betrachtet werden, und man kann zu einem sanfteren Vaterbild finden.

Formel Nr. 3

Die eigene Ähnlichkeit mit dem Vater bejahen
+ Sich die Andersartigkeit vom Vater zutrauen
+ Verbundenheit mit anderen Männern spüren
= an unsere Männer-Gefühle herankommen

Jungs wollen in den Kreis erwachsener Männer aufgenommen werden, sonst müssen sie sich lebenslang beweisen. Männerverbundenheit bewirkt emotionale Heilung, und dennoch fällt es uns schwer, in eine Männergruppe zu gehen, um dort emotional nachzuwachsen, weil wir männliche Nähe (Vaternähe) so sehr fürchten.

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