Daddy’s Girl

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Daddy’s Girl

Junge oder Mädchen?

„Es ist ein Mädchen!“ sagt die Hebamme. Sie sieht das an dem Hauptmerkmal, mit dem man einen Sohn von einer Tochter unterscheidet. Ansonsten sehen Neugeborene und Kleinkinder gleich aus. Erst nach einiger Zeit beginnt die Differenzierung im Äußeren, meist betont durch entsprechende geschlechtsspezifische Kleidung. Diese ist weltweit unterschiedlich, aber innerhalb eines Kulturkreises eindeutig. Die frühesten Bedürfnisse von Mädchen und Jungen sind auch in anderen Bereichen gleich. Unterschiede in der Präferenz von Spielen und Spielzeug treten später auf. Es gibt auch Mädchen, die lieber mit Autos spielen als mit Puppen. Dennoch bleibt die Vorliebe für Technik stärker dem männlichen Geschlecht zugeordnet.

Erst seit einigen Jahrzehnten genießt bei uns der weibliche Nachwuchs dieselbe Wertschätzung wie der männliche. Man braucht nicht mehr unbedingt einen „Stammhalter“, der die Linie biologisch weiterführt und die Fortexistenz des Familiennamens gewährleistet. Mädchen mit ihrer Reichhaltigkeit an Entwicklungsmöglichkeiten wecken die Phantasie der Eltern. Man denkt sich aus, was man ihnen an Gutem zuteil werden lässt und wie man sie am besten fördern kann. Ihre Fraulichkeit soll ebenso unterstützt werden wie die sozialen, technischen, intellektuellen und anderen Fähigkeiten, die in ihnen schlummern.

Sohn und Tochter: gleich und doch nicht gleich

Als Jugendlicher reiste ich 1958 in ein Land hinter dem Eisernen Vorhang. Dort traf ich in den Bahnhöfen und Fabriken auf Frauen, die im Blaumann Schwerstarbeit verrichteten: Sie schleppten Lasten, arbeiteten an den Maschinen und waren in allem ihren männlichen Kollegen gleichgestellt. In jener Gesellschaftsform war die Gleichberechtigung vollzogen, aber auf eine Weise, die auf mich unangenehm wirkte. Die Frauen, die ich antraf, wirkten männlich. In der Arbeitswelt schien es ein Einheitsgeschlecht zu geben. Im Privaten waren sie aber adrett gekleidet und „typisch weiblich“.

Als mehrfacher Familienvater bemühe ich mich, meine Söhne und Töchter gleich zu behandeln. Das heißt auch: gleiche Rechte und gleiche Pflichten für alle. Ich suche das Gespräch mit ihnen. Oft geht die Initiative aber von ihnen aus. Die Themen, für die sich die Buben interessieren, sind verschieden von denen der Mädchen. Dass Mädchen besonders an der Mutter hängen, trifft zu – aber nicht durchgehend. Ab einem gewissen Zeitpunkt ist ihr Bedarf, sich mit der Mutter zu identifizieren, gesättigt, und sie machen sich auf, das erzieherische männliche Gegenüber zu erforschen. Neugierig wie sie sein können, sitzen sie auf Papas Schoß, lehnen sich bei ihm an und stellen mehr Fragen, als man beantworten kann. Väter sind anders als Mütter! Das haben sie schon beim Umgang der Eltern miteinander beobachtet. Innerlich haben sie sich mal auf die Seite des einen, dann wieder des anderen geschlagen. Und nun wollen sie feststellen, wie der Vater beschaffen ist, wenn man ihn als persönliches Gegenüber hat, wenn es nicht primär um Erziehung und Gehorsam geht, sondern um „Freundschaft“, Vertrauen und Austausch.

Von seiner Tochter lernen

Mädchen teilen dem Vater ihre Gefühle mit und stoßen dadurch in ihm etwas an, was er selbst so nie erlebt hat und was er oft auch nicht aus der Biografie seiner Frau kennt, da er diese ja erst als Erwachsene kennengelernt hat. Der Mann lernt nun, mit den Mädchen zu fühlen, ihre Wünsche zu verstehen, die sich häufig von denen der Jungen unterscheiden. Die Vorstellungen der Jungs kennt der Vater aus seiner eigenen Kindheit; er war ja auch einmal ein kleiner Junge. Hatte er damals Schwestern, so war deren Wesen für ihn eher etwas Fremdes, das er nicht verstehen und nicht nachvollziehen konnte. Was sie von sich gaben, war „Weiberkram“. Er mied sie und suchte sich Kumpels, mit denen die Verständigung mühelos war.

Nun aber kommuniziert er mit seiner Tochter und entwickelt zunehmend Interesse für deren Gedanken- und Gefühlswelt. Was von Mädchen kommt, tut er nicht mehr als unbedeutend ab, sondern beschäftigt sich damit. Er lernt immer mehr dazu und gewinnt dem Denken und Fühlen seiner Tochter viel Positives ab. Durch seine Tochter erschließt sich ihm eine neue Welt. Und zugleich lernt er – hoffentlich – seine Frau besser verstehen, die in ihrer Jugend durch ähnliche Entwicklungen ging und von diesen möglicherweise bis in ihr heutiges Frausein bestimmt wird, ohne dass sie sich dessen bewusst ist. Auch in seiner Frau lebt das frühere Kind, das Mädchen, fort. Hat sie schlechte Erfahrungen mit Männern gemacht oder ein Vaterdefizit erlebt, trägt sie daran eventuell heute noch und hat es in die Ehebeziehung mit eingebracht.

Die Bedeutung des Vaters

Für die Tochter ist die Hinwendung zum Vater wichtig, weil sie ihn als Referenzperson für ihre künftigen Partner und für die Wahl des Ehemannes benötigen: Wie „tickt“ ein Mann? Wie kommt man mit ihm zurecht? Wie macht man ihm klar, was man will, ohne dass er einen „abbürstet“? Männer neigen zur Ungeduld mit Frauen, weil sie deren Fähigkeit, sich kurz zu fassen, vermissen. Auch meinen Männer, Frauen seien unlogisch und gäben sich mit Nebensächlichem ab. Es ist klar, dass dies ein Vorurteil ist, das auf fehlerhafter Deutung beruht. Bemüht sich ein Mann um Verständnis für das Innenleben einer Frau, stellt er fest, dass dort durchaus Ordnung und Klarheit herrschen, aber eben von anderer Art als bei ihm. Die kleinen Evas haben einen Charme-Bonus. Ihnen verschließt sich der Vater nicht so schnell. Er bemüht sich, sie zu verstehen, und sie versuchen, ihn für sich und ihre Anliegen zu gewinnen.

Das Verhältnis zum Vater ist für die Tochter ein Lernfeld für den Umgang mit Männern, denen es ihr ganzes Leben lang begegnen wird. Seinen Töchtern (und natürlich auch den Söhnen) bei der Entwicklung von Kriterien und sozialer Kompetenz zu helfen, ist Aufgabe des Vaters. Nimmt er seine Rolle ernst, werden seine Töchter als Erwachsene leichter zurecht kommen als jene Mädchen, die vaterlos waren. Manche wurden von der Mutter erzogen (alleinerziehend). Bei anderen wiederum war ein Vater zwar physisch präsent, hielt sich aber zurück und hatte sich aus dem Erziehungsgeschehen und der familiären Interaktion ausgeklinkt. Bezüglich der männlichen Identifikationsperson orientieren sich vaterlose Mädchen an Ersatzvätern: neue Partner der Mutter oder andere Männer im Bekanntenkreis.

Sind die Kinder erst einmal erwachsen, sind Vater und Mutter immer noch gefragt. Hat man sie aus der gemeinsamen Zeit im Elternhaus in guter Erinnerung, holt man auch jetzt gerne ihren Rat ein, ohne dass daraus eine Verpflichtung entstünde, ihn zu befolgen. Zwischen älter werdenden Eltern und den erwachsen gewordenen Kindern kann eine Freundschaft von besonderer Qualität bestehen.
Es bewegt mich, wenn meine Kinder auf meine Lebens- und Glaubenserfahrung zurückgreifen und aus diesem Fundus schöpfen wollen. Niemandem sonst vertrauen sie so sehr wie mir. Dass dem so ist, führe ich auf Gottes Gnade zurück und auf die Ehrlichkeit und Offenheit, die unser Familienleben immer gekennzeichnet hat.

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