Der mit Gott kämpft

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Der mit Gott kämpft

Was für eine Story! Wir sehen zwei Männer, miteinander kämpfend, die ganze Nacht hindurch, keiner gibt auf. Im Hintergrund geht schon langsam die Sonne auf, doch da kommt der entscheidende Schlag, der das Ende des langen Kampfes einleitet: Das Hüftgelenk des einen Mannes ist ausgerenkt, trotzdem kämpft er weiter. „Lass uns endlich aufhören!“, meint der andere. „Nicht, bevor du mich segnest!“ „Na gut! Ab jetzt sollst du heißen: Der mit Gott kämpft!“

Die ganze Geschichte im Detail können Sie in der Bibel nachlesen, im ersten Buch Mose, Kapitel 32, die Verse 25 bis 33. Es geht um Jakob, den schlitzohrigen Bruder Esaus, der diesem für ein Linsengericht das Erstgeburtsrecht „abkaufte“ und sich den Vatersegen erschlich. In der oben beschriebenen Szene ist Jakob noch dreister: Schon wieder geht es ihm darum, einen besonderen Segen an sich zu reißen, doch diesmal fordert er ihn von Gott selbst ein! Dieser geht tatsächlich darauf ein und gibt ihm – als Zeichen seines Segens – einen neuen Namen: Israel, was vom hebräischen Urtext her soviel heißt wie: Der mit Gott kämpft. Jakob wird zum Stammvater der Israeliten, aus seinen Söhnen gehen die zwölf Stämme Israels hervor.

Gott sprengt unsere Gottesbilder

Die oben beschriebene, biblische (!) Szene passt so gar nicht zu unseren herkömmlichen Gottesbildern:

  1. Ein Mann kämpft mit Jakob (Vers 25), und der Mann entpuppt sich als Gott selbst (Vers 31). – Ist Gott nicht unsichtbar?
  2. Gott verletzt Jakob, er renkt ihm das Hüftgelenk aus, sodass dieser anschließend hinkt (Vers 32). – Ist Gott nicht der „liebe Gott“, der uns niemals verletzen würde?
  3. Jakob erpresst Gott: „Ich lasse dich nicht los, wenn du mich nicht segnest.“ (Vers 27) – Sollen wir Gott gegenüber nicht demütig sein?

Ganz gleich, ob wir die Geschichte wörtlich nehmen oder sie entmythologisieren, sie bleibt herausfordernd und stellt vermutlich die meisten unserer Gottesbilder gewaltig in Frage! Uns Männer sollte es zugleich freuen, dass es auch Geschichten wie diese in der Bibel gibt. Die meisten Männer kämpfen gerne, sie wollen sich durchsetzen wie Jakob und am Ende gewinnen wie er – auch wenn sie dabei Wunden davontragen, auf die sie aber eigentlich stolz sind!

Gott kämpft mit uns

Dass Gott uns liebt, hat vermutlich schon jeder von uns gehört. Es handelt sich um eine der zentralen Aussagen der Bibel, besonders des Neuen Testaments. Aber wie oft haben Sie in Predigten gehört oder in Büchern gelesen, dass Gott mit uns kämpft? Die Bibel, dieses äußerst vielfältige Buch der Bücher, das uns wie kein anderes das Wesen Gottes offenbart, verschweigt uns auch diese Seite Gottes nicht.

Der Kampf Gottes mit Jakob stellt keinen Kampf dar, in dem es darum geht, den anderen fertig zu machen – im Gegenteil! Gott kämpft mit Jakob, weil er letztlich um ihn ringt; selbst dieser Kampf ist Ausdruck seiner väterlichen Liebe. Gute Väter lieben ihre Söhne auf eine besondere Weise, die sich von der Liebe der Mütter unterscheidet. Von außen betrachtet mag sie hart und unsensibel erscheinen, doch sie macht aus Jungen Männer; sie lehrt sie, zu kämpfen und zu siegen, sie lehrt sie Durchhaltevermögen und lässt sie Schmerzen ertragen. So erzieht Gott seine Söhne.

Weisen Sie diese Gedanken nicht vorschnell von sich, auch wenn sie nicht in Ihr „theologisches Konzept“ passen. Ich möchte Sie herausfordern, das Lesen kurz zu unterbrechen und sich folgende Frage zu stellen:

An welchen Stellen in meinem bisherigen Leben könnte es sein, dass Gott selbst mit mir gekämpft hat?

Gott mutet uns Wunden zu

Besonders den Älteren unter uns wurde früher – entsprechend einer recht autoritären Erziehung – oft das Bild eines harten, unnahbaren und strafenden Gottes vermittelt. In bestimmten christlichen Kreisen ist dies immer noch der Fall. Auf der anderen Seite finden wir heutzutage ein weit verbreitetes „Wellness-Christentum“, in dem der „liebe Gott“ seinen festen Platz hat. In unserer „Wellness-Kultur“ gilt es, jedes Unwohlsein schon im Ansatz zu vermeiden – ganze Industriezweige (v. a. die pharmazeutische Industrie) sind darauf aufgebaut und machen astronomische Umsätze. Leidensfähigkeit und Durchhaltevermögen sind in unserer Gesellschaft keine erstrebenswerten Ziele.

Der Gott Jakobs hingegen ist kein „lieber Gott“, sondern mutet ihm eine ordentliche Verletzung zu, sodass dieser anschließend hinkt. Gott selbst lässt sich auf die Ebene Jakobs herab, lässt sich auf einen Ringkampf ein und wird sogar fast besiegt. Da bereits die Sonne aufgeht, beendet Gott den Kampf mit einem Schlag auf das Hüftgelenk; denn nach alttestamentlichem Verständnis kann der Mensch es nicht überleben, Gott zu sehen. Die Wunde, die Gott Jakob zufügt, ist also Ausfluss seiner väterlichen Liebe, wenngleich sie sich nicht so anfühlt. Gottes Liebe ist – entgegen unzähliger Predigten – nicht unbedingt eine „Kuschel-Liebe“.

Unterbrechen Sie wieder den Lesefluss und fragen Sie sich: Wann hat mich Gott leiden lassen, mir Verletzungen zugemutet? Inwieweit war das Ausdruck seiner Liebe zu mir? – Bitte wehren Sie auch diesen Gedanken nicht vorschnell ab, nur weil er nicht zu Ihrem bisherigen Gottesbild passt.

Wir dürfen Gott herausfordern

Gott wünscht sich selbstbewusste Söhne (und Töchter), die wissen, wer sie sind und die wissen, was sie wollen! Leider haben sich viele von uns zähmen lassen, sodass viele Männer ihren Biss verloren haben und weder ihre Identität kennen, noch ihre Ziele vor Augen haben. Sie lassen sich treiben von den Erwartungen anderer.

Jakob war ein ganz anderes Kaliber. Er besaß nicht nur die Frechheit, sich mit Gott selbst anzulegen, sondern ihn auch noch zu erpressen! Mit aller Entschlossenheit forderte (nicht bat) er von ihm den Segen. Mal ehrlich: Passt das in unser theologisches Konzept?

Wir tun uns ja schon oft genug schwer, Gott überhaupt um etwas zu bitten; besonders wir Männer neigen dazu, erst mal alles selber zu machen und erst dann jemanden (inklusive Gott) um Hilfe zu bitten, wenn wir es absolut nicht packen. Das ist uns dann schon peinlich genug. Aber bringen wir die Dreistigkeit eines Jakobs auf, Gott regelrecht herauszufordern? Das bedeutet übrigens nicht, ihn zu versuchen.

Machen Sie wieder eine kurze Pause und fragen Sie sich: Welche Art von Segen will ich auf alle Fälle von Gott haben? Dann gehen Sie zu Gott und ringen Sie mit ihm (im Gebet)! Sich auf solche Weise von Gott segnen zu lassen, bedeutet zugleich, zum Segen für andere zu werden – wie Jakob, der zum Stammvater Israels wurde.

Wilde Männer

Männer, die gelernt haben, mit Gott zu kämpfen, sind „wilde Männer“, die etwas bewegen, die sich nicht mit dem Status Quo abgeben, sondern die Veränderungen schaffen. Das sind keine Mitläufer, die irgendjemandem hinterherrennen oder nur das Mögliche im Blick haben; es sind Männer, die mit dem Unmöglichen rechnen, weil sie Gott und seine Möglichkeiten kennen. Diese Männer haben erkannt, wer sie in Gott sind: seine Söhne, ausgestattet mit seiner Würde.

Nicht nur unsere Gemeinden brauchen solche Männer, sondern auch unsere Familien, unsere Wirtschaft, unsere Politik. Das sind Männer, die gradlinig und mit klaren ethischen Werten vorangehen, die das Wohl der anderen im Blick haben und als Gesegnete zum Segen werden. Wir brauchen viel mehr Jakobs unter uns!

Wie werden wir zu solchen wilden Männern? Ein Anfang könnte sein, sich von seinen Gottesbildern zu verabschieden und über die oben gestellten Fragen zu meditieren. Lesen Sie mal den oben erwähnten Bibeltext und stellen Sie sich vor, Sie wären Jakob. Fangen Sie an, Ihren Gebetskampf zu kämpfen – mit Ihren tiefen Anliegen, die Sie sich vielleicht bisher nicht getraut haben, vor Gott zu bringen. Oder graben Sie Anliegen aus, die Sie vielleicht schon aufgegeben haben. Bedenken Sie, dass Jakob die ganze Nacht kämpfte, er gab nicht so schnell auf.

Wenn Sie es geschafft haben und „wild“ geworden sind, ermutigen Sie andere Männer! Wir Männer brauchen Ermutiger, Gefährten auf unserem Weg. Werden Sie einer von ihnen!

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