Mein Paradies – nicht auf der Strecke bleiben

Photo by Anton Sharov on Unsplash

Mein Paradies – nicht auf der Strecke bleiben

Sonne, Wind, Wasser und endlose Sandstrände – so stelle ich mir das Paradies vor. Und ich mittendrin. Noch völlig überwältigt von meiner Spontaneität laufe ich über den Sand, genieße den Wind in meinen Haaren, das Kreischen der Möwen, die Entspannung, die sich langsam in meinem ganzen Körper ausbreitet. Ich bin stolz auf meinen Mann und mich. Wir haben es geschafft, haben die Reißleine gezogen, die typischen Verwandtschaftsbesuche über Ostern abgesagt und sind auf und davon!

Vor wenigen Tagen saßen wir bei unserer obligatorischen Tasse Kaffee beisammen, und ich heulte meinem Mann die Ohren voll, dass ich weg will. Seine Antwort, männlich, kurz und knapp: „Dann lass uns fahren. Wohin willst Du?“ Tja, wohin wollte ich eigentlich? Weg halt! Dorthin, wo mich keiner kennt. Dorthin, wo keiner etwas von mir will. Dorthin, wo ich meine Ruhe habe!

Mein Leben ist zu laut geworden. Ich habe den Eindruck, nur noch gelebt zu werden. Ich tue Dinge, weil sie von mir erwartet werden. Und ich bleibe dabei auf der Strecke. Ich bin so dankbar, dass mein Mann auf meinen Vorschlag eingeht, dass mir die Tränen kommen. Gegen Abend haben wir eine reizende kleine Ferienwohnung in Holland ausgemacht, direkt am Strand, die tatsächlich über Ostern noch frei ist. Unsere Kinder sind begeistert. Mir ist ganz schwindlig vor Glück!

Karfreitag geht´s los. Mein Gebet an diesem Tag lautet in etwa: „Jesus, es ist Karfreitag, und ich sollte wohl in einem Gottesdienst sitzen und an dein Leiden und Sterben denken. Aber ich weiß ja, dass du auch wieder auferstanden bist. Du lebst, und ich will auch leben. Deshalb – vielen Dank für den Spontanurlaub! Vielen Dank, dass die Wohnung frei war. Vielen Dank, dass wir jetzt fahren können.“

Was dann folgt, sind eine Woche endlose Sandstrände, Sonne, Wind und Wasser. Eine Woche Zeit für uns als Ehepaar – viele Gespräche, gutes Essen, guter Wein, Genuss pur. Eine Woche Zeit für unsere Kinder – Spielen, Toben, Reden. Und eine Woche Zeit für mich – ich lese, lese, lese. Ja, so muss es im Paradies sein. Sandstrand, Zeit, Genuss – und das alles ohne Rückfahrkarte!

Inzwischen hat mich der Alltag wieder eingeholt. Die Arbeit fordert meine ganze Aufmerksamkeit, Menschen brauchen Zeit und Verständnis, Mann und Kinder wollen auch nicht zu kurz kommen.

In meinem Büro steht ein Foto aus unserem Urlaub. Mit Meer, Wellen und Sand darauf. Manchmal schließe ich kurz die Augen. Dann höre ich die Möwen kreischen, sehe das blaue Wasser, die weißen Schaumkronen, die riesigen Frachter im Hintergrund. Und ich weiß, es gibt mehr in meinem kleinen Leben als die Arbeit. Plötzlich fällt mir ein Zitat ein, das ich im Urlaub gelesen habe: „Wer niemals vom Weg abkommt, wird eines Tages auf der Strecke bleiben.“ Ich entscheide mich dafür, dass mein Leben nicht auf der Strecke bleibt. Und auch dafür, nicht den Erwartungen anderer Menschen gerecht zu werden. Ich bin es mir wert, mein Leben zu leben und mich nicht leben zu lassen. Mein Paradies lasse ich mir nicht nehmen. Ich schenke mir Zeit!

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